Das Ende der Megamaschine

Liebe Leserinnen und Leser!

Endlich bin ich wieder dazu gekommen, eine neue Rezension zu veröffentlichen. Die letzten Monate stand die Fertigstellung des Manuskripts meines eigenen, neuen Buches im Vordergrund. Mittlerweile ist diese Phase abgeschlossen und ich habe wieder etwas Freiraum, um neue Bücher zu lesen. Auf „Das Ende der Megamaschine“ von Felix Scheidler machte mich Ralph Suikat aufmerksam, Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender der Fairantwortung gAG in Karlsruhe. Einer der besten Tipps seit langem. Ich habe das Buch in jeder freien Minute gelesen und bin alles in allem sehr angetan. Keine Frage: Wer die Funktionsweise der Megamaschine des globalen, kapitalistischen und marktwirtschaftlichen Systems besser verstehen will und Anregungen sucht, wie wir gemeinsam einen Ausweg aus diesem Wahnsinn finden, sollte dieses Buch lesen.

Scheidler - Megamaschine

Fabian Scheidler arbeitet nach seinem Studium der Geschichte, Philosophie und Theaterregie als freiberuflicher Autor und gründete das unabhängige Fernsehmagazin Kontext TV, das vor allem Fragen und Themen globaler Gerechtigkeit fokussiert. Mit seinem neuen Buch ist ihm aus meiner Sicht ein großer Wurf gelungen: Auf gerade mal 272 Seiten nimmt er seine LeserInnen mit auf eine Tour de Force durch die Geschichte des aktuellen, weltumspannenden Gesellschafts- und Wirtschaftssystems, dem wir einige der größten Probleme in der Menschheitsgeschichte zu verdanken haben. Probleme ohne deren Lösung wir voraussichtlich kollektiv mit Vollgas gegen eine Stahlbetonmauer fahren. Wohl nicht heute, vielleicht nicht morgen, vermutlich aber früher oder später. Denn es gibt zwei Grenzen, die das Ende der Megamaschine einläuten. Die erste Grenze liegt im System und der Logik der Megamaschine selbst begründet. Die Einkommens- und Vermögensspanne nimmt weltweit zu, mittlerweile werden auch zunehmend die wirtschaftlichen Existenzen des Mittelstands unterhöhlt und zerstört. Die Logik der Reduktion auf die unbedingte Gewinnmaximierung beginnt sich wie ein Krebsgeschwür in die Eingeweide der Megamaschine zu fressen. Die zweite Grenze liegt im größeren System, dass die Megamaschine umschließt. Unser Planet und seine natürlichen Grenzen.

Scheidler beginnt damit, die „Mythen der Moderne“ zu hinterfragen: „Jede Gesellschaft pflegt ihren Mythos, der ihre spezifische Ordnung begründet und rechtfertigt. Das Problem von solchen Mythen ist allerdings, dass sie uns nicht nur ein verzerrtes Bild der Vergangenheit liefern, sondern auch unsere Fähigkeit vermindern, die richtigen Entscheidungen für die Zukunft zu treffen.“ (Einleitung, Abschnitt 2, Absatz 3*). Der tragende Mythos, der unseren Blick verschleiert besteht in der immer wieder reproduzierten Erzählung, das unsere westliche Zivilisation über Jahrhunderte hinweg in einem aufwändigen Prozess einen immer größeren Fortschritt zu mehr Wohlstand, Frieden, Wissen, Kultur und Freiheit geführt habe. Was dabei an Kriegen, Völkermorden und Umweltzerstörungen zu beklagen war, sind nur unbeabsichtigte Kollateralschäden. Scheidler hingegen zeigt, dass dem nicht so ist, das diese „Ausrutscher“ der Geschichte vielmehr zutiefst mit unserer heutigen Zivilisation verbunden sind, dass der Fortschritt nur die eine Seite und die Tragödien und Apokalypsen die andere Seite derselben Münze sind. Unsere Wirtschaft und unser „freier Markt“ entstand nicht, wie es immer wieder im Mythos erzählt wird, aus einer Dynamik freien Tauschens, sondern vielmehr aus der Verbindung von Krieg und Sklaverei.

Es gibt drei tragende Säulen der Megamaschine als „gesellschaftlicher Organisationsform, die wie eine Maschine zu funktionieren scheint.“ (Einleitung, Abschnitt 3, Absatz 3): Ökonomie, staatliche Strukturen und Ideologie. Dabei sind ein freier Markt und staatliche Strukturen, wie es heute regelmäßig behauptet wird, keine Gegensätze, sondern bedingen sich vielmehr gegenseitig. Diese beiden Subsysteme der Megamaschine werden durch eine Ideologie der Überlegenheit und eines damit verbundenen Missionierungsauftrags globalisiert. Erst im Namen Gottes, dann im Namen der Vernunft, Zivilisation, des freien Marktes und Fortschritts. Dieser Mythos ist letztlich der, den schon der deutsche Ethnologe und Kulturkritiker Hans Peter Duerr in seinem vierbändigen Werk „Der Mythos vom Zivilisationsprozess“ ausführlich dargestellt hat. Seinerzeit allerdings mit dem Blick des Ethnologen ohne die Verflechtungen unserer heutigen Wirtschaft mit staatlichen Strukturen zu analysieren.

Fabian Scheidler in einem Kurzbeitrag zu seinem Buch

Der Blick zurück, weit bevor enorme soziale Unterschiede erschaffen wurden, bevor es eine weitreichende Elitenbildung gab, verdeutlicht, dass unsere Vorfahren die längste Zeit der Menschheitsgeschichte egalitär lebten: „Bis zum Beginn der Bronzezeit zwischen 4000 und 3000 v. Chr. zeigen die archäologischen Befunde in den Gebieten, wo damals bereits die sesshafte Lebensweise dominierte, noch kaum Spuren größerer sozialer Unterschiede oder hierarchischer Organisation.“ (Kap.1, Abschnitt 1, Absatz 1). Erst im Verlauf der Bronzezeit kam es zu einer Hierarchisierung und Elitenbildung. Daraus leitet Scheidler eine zentrale Frage ab: Warum hat die Mehrzahl der Menschen zugelassen, dass sich Eliten bilden, die über sie herrschen und einen Teil ihrer Erträge in Form von Steuern einziehen, um damit Armeen zu finanzieren und gewaltige Paläste zu bauen? … Wie und warum … haben die Menschen gelernt zu gehorchen?“ (Kap 1, Abschnitt 2, Absatz 1).

Um die Mehrheit der Menschen dazu zu bringen, sind drei Typen von Macht, drei Tyranneien nötig:

  1. Physische Gewalt, zumeist unter Einsatz von Waffen. Im Verlauf der Geschichte wird diese Macht Teil unserer militarisierten Staaten.
  2. Strukturelle Gewalt, vor allem durch den Aufbau und die Anwendung ökonomisch sozialer Macht. Die Grundlage dazu liegt in der Schaffung einer Ungleichverteilung von Einkommen, Eigentum, Besitz, Rechten und Prestige.
  3. Ideologische Macht, die sich im Laufe der Geschichte von der Schriftbeherrschung über eine „Kodifizierung religiöser, moralischer oder wissenschaftlicher Ideologien bis zur modernen Expertokratie und der Kontrolle von Massenmedien“ (Kap 1, Abschnitt 2, Absatz 8) entwickelt. Damit wird festgeschrieben, was wahr, normal und rechtens ist.

Die physische Gewalt ist jedoch keineswegs nötig, um den von Thomas Hobbes behaupteten Krieg aller gegen alle einzudämmen. Ähnlich wie beim Mythos zur Entstehung des Geldes aus Tauschgeschäften heraus, lässt sich der Mythos nicht nachweisen. Staaten mit ihren Polizeien und Armeen wurden nicht gegründet, um dem von Hobbes postulierten natürlichen Dauerkriegszustand beizukommen. Vielmehr zeigen quantitative Analysen (und auch ein wenig Allgemeinbildung), dass Gewaltanwendungen durch Staatenbildungen zu- und nicht abnehmen. Scheidler führt diese Entwicklung durch das Buch immer weiter aus, Vertreibungen, Kriege, Völkermorde, alles in zunehmender Maschinisierung bis hin zum allbekannten bisherigen Höhepunkt im 20. Jahrhundert und den immer noch vorhandenen 18.000 Atomsprengköpfen im 21. Jahrhundert.

Die strukturelle Gewalt ist eine Fortsetzung ihres physischen Gegenstücks. Sie ist allgegenwärtig, häufig ohne dass wir sie bemerken. Wir haben das Gefühl, aus einer gewissen Freiheit heraus zu handeln, aber letztlich stehen auch hinter alltäglicher Arbeit und Mietverhältnissen latente Drohungen. Wer sich zu oft den Anweisungen des Chefs widersetzt, verliert seine Arbeit. Wer zu oft seine Arbeit verloren hat, findet keine neue mehr. Damit wird es zunehmend schwerer, sich das eigene Leben zu finanzieren. Wer seine Miete zu oft nicht rechtzeitig zahlt, dem wird gekündigt. Wer sich dagegen weigert, wird Zwangsgeräumt.  Letztendlich wird deutlich, dass Eigentum mehr als nur rechtens ist. Es ist vielmehr ein Primat, dem sich die meisten anderen Rechte unterzuordnen haben. Eine zentrale Rolle in diesem Drama spielt die Erfindung der Schulden, wie schon der Anthropologe David Graeber in seinem umfassenden Werk „Schulden. Die ersten 5000 Jahre“ deutlich machte. Früher war es so, dass Schulden vor allem ein Bestandteil von Beziehungen waren, die keineswegs immer zurückgezahlt werden mussten und auch nicht handelbar waren. Heute sieht die Sache bekanntermaßen ganz anders aus. Schulden sind die machtvollste strukturelle Gewalt.

Die ideologische Macht diente einerseits dazu, zwischen einer Elite von Expertokraten und den Laien eine tiefe Kluft zu schaffen. Dazu war die Erfindung der Schrift ein potentes Mittel. Sie diente aber gleichzeitig dazu, Schulden zu dokumentieren und die Produktion und Verteilung von Gütern zu organisieren. Im Verlauf der Zeit diente die Schrift auch dazu, das jeweils herrschende Recht festzuschreiben. Der Vorteil einer Rechtssicherheit wurde durch die Fixierung der Machtverhältnisse zu einem doppelschneidigen Schwert. Darüber hinaus konnten durch die Schrift auch Ideologien in Form von Mythen festgehalten werden, die der jeweils herrschenden Elite ihre Legitimation verschaffte. Mit der Entstehung der ersten Staatsgebilde in Sumer betrat dann noch ein herrschender Gott die Bühne, der ebenso über einen Thron verfügte und das religiöse Gegenstück zu den weltlichen Herrschern war.

Zu diesen drei Formen der Macht oder Tyrannei, wie Scheidler sie nennt, kam letztlich noch die vierte hinzu: Das lineare Denken: Die Welt ist in mehr oder minder einfachen oder komplizierten Zusammenhängen von Ursache und Wirkung beschreibbar und damit beherrschbar. Die maschinengleichen Bilder und Metaphern sind bekannt: Das Universum als eine gewaltige Ansammlung von kugelgleichen Körpern und Tiere und Menschen, die nichts weiter sind als komplizierte Automaten. Dieses mechanische Ursache-Wirkungsgefüge setzt sich bis in soziale Strukturen von Befehl/Anweisung und Gehorsam fort. Scheidler schreibt völlig zu Recht, dass wir die ersten drei Tyranneien nur überwinden können, wenn es uns gelingt, dieses lineare Weltmodell endlich hinter uns zu lassen und die reale, für jeden sicht- und erlebbare Unvorhersehbarkeit, das Nichtwissen über die Zukunft anzuerkennen.

In den insgesamt 11 Kapiteln analysiert und belegt Scheidler diese Zusammenhänge und fordert seine LeserInnen heraus. Es wird zunehmend unerträglicher, den Wahnsinn und die menschenverachtenden Auswirkung der Megamaschine zu ertragen. All das nur, um die eigennutzende Gewinnmaximierung zu perfektionieren und Geld um des Geldes Willen weiter anzuhäufen. Aber genau darin besteht eine der nötigen Aufgaben für alle, die ein menschenwürdiges Leben für alle und nicht nur für eine Elite wollen: Hinschauen statt sich abzuwenden und zu ignorieren. Zum Schluss taucht ein Licht auf am Ende des Tunnels, den die Megamaschine durch unsere Welt und unser aller Leben gefressen hat. Alternative Modelle, Initiativen, Gesellschafts- und Wirtschaftskonzepte, wie beispielsweise der venezuelanische Genossenschaftsdachverband →Cecosesola (den Scheidler nicht erwähnt, der aber aus meiner Sicht extrem beeindruckend ist). Scheidler schlägt dabei in dieselbe Kerbe wie Harald Welzer in seinen Büchern →“Selbst denken“ und →“Transformationsdesign„: Es gibt keinen Masterplan. Es gibt nur einen immer weiter wachsenden bunten Blumenstrauß an Antworten und Alternativen. Auch deshalb ist eine selbstorganisierte vielfältige Demokratie ein zentraler Baustein für eine neue Welt, in der die Masse nicht nach der Pfeife einiger weniger tanzen muss. Diese Vielfalt zu akzeptieren und anzuerkennen, dass es keine Universallösung gibt, wäre der bitter nötige Abschied von der Megamaschine.

Fazit: Dieses Buch lohnt für alle, die genug haben von der Reduktion der Welt auf Geld. Wer eine Zukunft will, in der wir alle gemeinsam eben diese Zukunft gestalten, sollte das Buch lesen.

Herzliche Grüße

Andreas Zeuch

 

Scheidler, F. (2015): Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation. Promedia Verlag. 272 Seiten, 19,90 Euro

* Die Zitationsnachweise erfolgen in dieser Weise, da ich eine E-Book Version habe.

3 Kommentare

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  1. […] Zeuchs Buchtipps fand ich den folgenden Satz, der die Stärke des Buches mMn sehr gut […]

  2. […] gefallen, das so perfekt zur Initiative Wirtschaftsdemokratie passt, wie Fabian Scheidlers “Das Ende der Megamaschine“. Dem studierten Historiker, Philosophen und Theaterregisseur ist ein großer Wurf gelungen, […]

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