New Pay. Alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle
Wer sich mit alternativen Formen der Arbeitsorganisation, kurz: New Work, befasst, stößt früher oder später auf die Frage nach einer Erneuerung der Gehaltsmodelle. Bislang mangelte es an entsprechender Literatur dazu. Mit dem hier rezensierten Buch ist nun das erste deutschsprachige Buch speziell zu Möglichkeiten „alternativer Arbeits- und Entlohnungsmodelle“ auf dem Markt.
New Pay: Der Anfang
Im Herbst 2017 startete die drei Autor*innen, Sven Franke, Stefanie Hornung und Nadine Nobile eine Blogparade zum Thema. Wie sie selbst schrieben, waren sie überrascht von dem Echo aus den weiten des Netzes, und realisierten erst durch dieses Feedback, dass sie offensichtlich den Zeitgeist getroffen hatten.
Es gab Beiträge von Unternehmern, Angestellten und Selbstständigen; von Beratern, Personalern und Wissenschaftlern. Das im Netz frei verfügbare PDF mit allen Beiträgen umfasst immerhin 54 Beiträge auf 194 Seiten. Wer da noch zweifelt, dass New Pay mehr ist, als eine Eintagsfliege, muss schon ein gerütteltes Maß an Ignoranz aufbringen.
New Pay: Das Buch
Wer in irgendeiner Weise eine Rezeptur erwartet, wird gleich zu Beginn enttäuscht. Die Autor*innen stellen bereits am Ende des kurzen zweiten Kapitels klar, dass hier keine Blaupausen erhältlich sind:
Einem konkreten „New-Pay-Modell“ werden wir uns in diesem Buch verweigern.
Für mich indes ein erstes positives Qualitätsmerkmal, denn irgendwelche Best Practices, die natürlich gerne feilgeboten und mindestens genauso gerne von der Stange gekauft werden, sind meistens zum Scheitern verurteilt. Die jeweilige organisationale Gemengelage ist viel zu komplex und individuell, als dass konfektionierte Ware wirklich passt. Ergo kann es auch kein New Pay Modell geben, das für alle Organisationen stimmig ist, nicht einmal in allgemeinerer Weise branchenspezifisch. Zudem wollen längst nicht alle Unternehmen, die bereits eine relativ weit entwickelte Selbstorganisation aufweisen (also in irgendeiner Weise New Work betreiben), auch ihr Gehaltsmodell runderneuern. Womit wir schon an dieser Stelle bei einem Widerspruch meinerseits sind: Nein, New Work braucht nicht zwingend auch New Pay, wie die Autor*innen auf Seite 261 im Kapitel 11 schlussfolgern. Aber der Reihe nach:
Mit dem dritten Kapitel beleuchten Sven, Stefanie und Nadine erst einmal ganz grundlegend das Phänomen Arbeit („Meilensteine aus den letzten 2000 Jahren.“) und gießen so ein solides Fundament, um anschließend Stock für Stock darauf aufzubauen. Denn vielen dürfte erst gar nicht klar sein, dass der Begriff „Arbeit“ schon etymologisch tief blicken lässt, bedeutete dieses Wort doch früher Mühsal, Not oder Bedrängnis und ist verwandt mit dem slawischen „robota“, was wiederum den Sklaven oder Leibeigenen bezeichnete. Arbeit ist begrifflich also eigentlich kontaminiert und hat somit eine inhärente, toxische Wirkung. Das wiederum erscheint mir subjektiv als guter Grund, über alternative Formen der Vergütung nachzudenken. Und das führt wiederum zum vierten Kapitel, den gesellschaftlichen Konfliktfeldern der Vergütung.
Aus der Blogparade heraus identifizierten die Autor*innen verschiedene Themen, die von besonderer Relevanz zu sein scheinen. Gesprächsthema Gehalt, Mindestlohn, Grundeinkommen, Gender-Pay-Gap, Wertigkeit sozialer Berufe, Zeit ist das neue Geld und Gehaltstransparenz. Letztere wird zu Schluss dieses Kapitels als notwendiges aber nicht hinreichendes Kriterium herausgearbeitet. Wobei ich an der Stelle noch einen internationalen Vergleich interessant gefunden hätte, denn es scheint doch ein typisch deutsches Phänomen zu sein, dass eine öffentliche Auseinandersetzung mit Gehalt deutlich vermieden wird. Hier liegt wohl ein kulturelles Tabu, dass eine Erneuerung bisheriger Gehaltsmodelle erheblich erschwert.
Das folgende fünfte Kapitel beleuchtet den komplexen Zusammenhang zwischen Vergütung und Motivation. Dieses Thema füllt vermutlich Regalkilometer an Literatur. Kern der bisherigen Vergütungsmodelle war und ist die längst widerlegte Vorstellung, extrinsische Motivation in Form monetärer Vergütung und geldwerter Vorteile wäre erstens notwendig und zweitens erfolgreich. Dem wieder liegt das Menschenbild der Standardökonomie zugrunde, in dem Menschen erstens keine Lust hätten zu leisten, zweitens rational entscheiden würden, was wiederum bedeutet: ökonomisch rational, und drittens eigennutzenmaximierend unterwegs sind, also ständig danach trachten, für immer weniger geleistete Arbeit immer mehr Gehalt zu bekommen. Die menschliche Wirklichkeit ist indes vielfältiger, als sich das ein Großteil akademisch verstaubter Ökonomen von anno dazumal vorstellen können, was die Autor*innen glücklicherweise schnell klarmachen. Und damit ist eine weitere Schneise in das Dickicht hin zu alternativen Vergütungsmodellen geschlagen.
Der theoretische Teil schließt mit einem „Versuch einer (Anti-)Definition“ im kurzen sechsten Kapitel. Wichtige Elemente dieser Begriffsbestimmung sind dabei Fairness, Transparenz, Selbstverantwortung, Partizipation, Flexibilität, Wir-Denken und Permanent-Beta. Aus der Verflechtung dieser Elemente entsteht die (Anti-)Definition:
Der Begriff New Pay umschreibt Prozesse rund um die Entwicklung neuer Gehaltsprozesse, die die Bedürfnisse der Menschen in einer sich dynamisch wandelnden Organisation unterstützen. Die Gehaltsfindung richtig sich an der Branche und der Position aus (dem Wofür). Sie durchbricht fast immer alte Muster, Rituale und Regeln und hinterfragt klassische Entgeltinstrumente. New Pay ist ein System, das lebt, atmet und sich nach Bedarf selbst anpasst. Ziel ist die eigene individuelle Lösung. (S. 82)
Nach diesem ausführlichen theoretischen Vorspiel folgt der Kern des Buches, das siebte Kapitel, dass alleine schon aufgrund des Umfangs eine Ansage ist: Auf 130 Seiten werden zehn Unternehmen und ihre jeweiligen New Pay Modelle vorgestellt. Die Spanne der Beispiele reicht hinsichtlich der Größe, gemessen an der Mitarbeiteranzahl vom mittelständischen Mikrounternehmen mit 15 Mitarbeiter*innen bis zum Konzern mit 380.000 Mitarbeitern. Bei den Branchen ist die Vielfalt allerdings deutlich eingeschränkt. Von zehn Beispielen sind neun Dienstleister, nur ein Unternehmen kommt aus dem produzierenden Gewerbe. Da stellt sich die Frage: Ist New Pay ein Thema für Dienstleister? Könnte hinkommen, findet sich doch auch New Work eher im dritten Sektor, wie es auch in der priomy.MAP für selbstbestimmte Arbeit sichtbar wird.
Das Buch schließt gewissermaßen mit einem dritten Teil, in dem die Autor*innen im achten Kapitel klären, was rechtlich möglich ist, im neunten Kapitel die Prinzipien und Entlohnungsmodelle für New Pay auflisten und kurz skizzieren, um im zehnten Kapitel die Reise zu neuen Vergütungsmodellen zu skizzieren, indem sie sieben Stationen dorthin beschreiben. Last not least schließen sie das Buch mit einem Ausblick zur Frage, wofür wir eigentlich arbeiten.
Bis auf Weiteres haben Stefanie, Nadine und Sven das Standardwerk für neue Vergütungsmodelle geschaffen. Wer immer sich mit dem Thema befasst, kommt an dem Buch nicht vorbei. Allerdings gilt es den Untertitel zu beachten: Alternative Arbeits– und Entlohnungsmodelle. Sprich: In allen Fallbeispielen geht es immer auch um das große Ganze: Wie organisieren die Firmen ihre Arbeit insgesamt? Letztlich ist es ein Buch über New Work und -Pay. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass der New Work Anteil deutlich kürzer hätte ausfallen können, denn erstens verweist der Titel auf neue Gehalts- und nicht neue Arbeitsmodelle, auch wenn das im Untertitel angedeutet wird. Zweitens arbeiteten die Autor*innen keinen systematischen Zusammenhang zwischen den jeweiligen New Work und Pay Umsetzungen heraus.
Fazit: Ein Buch für alle, die sich mit New Pay befassen wollen. Anhand von zehn Fallbeispielen bekommen die Leser*innen einen guten Überblick über verschiedenen Möglichkeiten der Gestaltung neuer, alternativer Vergütungsmodelle. Der Preis ist gemessen an der Ausstattung des Buches (Paperback, s/w Druck) indes unangemessen hoch.
Herzliche Grüße
Andreas
Franke, S., Hornung, S. & Nobile, N. (2019): New Pay. Alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle. Flexibler Einband, 285 Seiten, € 39,95
Bildnachweis
- Beitragsbild: Auszug Cover
- Cover: Haufe Verlag, Foto des Buchs ©Andreas Zeuch
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