Gleichheit ist Glück

Zur Einleitung eine kleine Quizfrage: Wer erreicht eher das 65. Lebensjahr? Männliche Schwarze in Harlem oder Männer die in Bangladesch leben? Kleine Hilfe: Bangladesch zählt mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von etwa 490 US Dollar im Jahr 2007 zu den ärmeren Ländern der Welt. Antwort: Die Einwohner Bangladeschs werden eher 65 als Harlems schwarze Männer. Und das, obwohl die USA 2007 im Vergleich mit Bangladesch ein rund 91faches BIP pro Kopf von 44.594 US Dollar erwirtschafteten.
Richard Wilkinson, Foto: Josef Weidenholzer, CC-BY 2.0

Richard Wilkinson, Foto: Josef Weidenholzer, CC-BY 2.0

Der Wirtschaftshistoriker Richard Wilkinson und die Anthropologin und Epidemiologin Kate Pickett veröffentlichten 2009 Ihr Buch „Gleichheit ist Glück“. In einem Statistikkraftakt belegen sie die Zusammenhänge der Einkommensungleichheit mit den unten aufgeführten Bereichen. Dazu untersuchten sie die Daten von 23 wohlhabenden Ländern wie Australien, Deutschland, Großbritannien, Israel, Japan, Norwegen, Portugal, Schweden, Schweiz und den USA.Tatsächlich hat die Einkommens(un)gleichheit eines Landes einen viel größeren Einfluss auf eine Menge Faktoren als der banale Wohlstand. Konkreter: Die Einkommensungleichheit steht in kausalem Zusammenhang zu folgenden Bereichen:

  • Gemeinschaft, Vertrauen und soziale Beziehungen
  • Seelische Gesundheit und Drogenkonsum
  • Gesundheit und Lebenserwartung
  • Fettleibigkeit
  • Schulische Leistung
  • Teenagerschwangerschaften
  • Gewalt
  • Gefängnis und Bestrafung
  • Soziale Mobilität
Die Ergebnisse ihrer herausragenden Arbeit zeigen eindeutig, dass nicht die Unterschiede zwischen reichen und armen Ländern, sondern die Einkommensschere innerhalb eines Landes zentral ist. Dazu haben die Autoren nicht nur internationale Vergleiche angestellt, sondern auch die 50 US Bundesstaaten zueinander in Bezug gesetzt. Und siehe da: Je größer die Einkommensungleichheit, desto schlechter die Ergebnisse in den oben erwähnten Gesellschaftsbereichen.
Aber Wilkinson und Pickett waren nicht mit Ihren eigenen Untersuchungen zufrieden, sondern verglichen sie mit einer Vielzahl an Experimenten, die ihre eigene Studie noch bedeutsamer macht. Ein Beispiel: Die beiden bahnbrechenden Langzeitstudien Whitehall I und II zeigten entgegen den üblichen Vermutungen, dass nicht Stress, sondern ein geringer Status in der Arbeit Herzkrankheiten, Lungen- und Magendarmerkrankungen, Rückenleiden und Depression wahrscheinlicher macht. Als entscheidende Einflussgröße zeigte sich das Gefühl, fremdbestimmt zu arbeiten: „Bei den männlichen Beamten der unteren Ebene (Boten, Portiers etc.) betrug die Sterbeziffer das Dreifache der Sterbeziffer für leitende Beamte.“ (Gleichheit ist Glück, S. 94)
Im letzten Kapitel „Die Zukunft gestalten“ gibt’s reichlich Hinweise, Vorschläge und Ideen, was Unternehmer, Vorstände, Politiker und jeder Einzelne von uns tun kann, um einen gesellschaftlichen Wandel zu mehr Einkommensgleichheit zu ermöglichen. Dabei gehen Wilkinson und Pickett über die oft extremen Einkommensungleichheiten zwischen Top-Management und Mitarbeitern hinaus. Dass die CEOs von 365 der größten US-Firmen über 500 Mal höhere Gehälter erhalten als der Durchschnitt der Mitarbeiter, ist nicht nur Dank vollkommen verlogener Leistungs- und Verantwortungsbehauptungen unhaltbar. Es ist vor allem das beste Beispiel für den Irrsinn der Einkommensungleichheit.
Glücklicherweise gibt es schon positive Signale, wie mehr Einkommensgleichheit durch alternative Wirtschafts- und Unternehmensgestaltungen erreicht werden kann: In den 20 größten US amerikanischen Städten sind bereits 40 Prozent der 200 größten Unternehmen Non-Profit Organisationen. Über 2000 kommunale Kraftwerke erzeugen für 40 Millionen Amerikaner Strom. Und es gibt tatsächlich etwa 48.000 Kooperativen sowie 10.000 Kreditvereine mit Einlagen von 600 Millarden US Dollar (Stand 2009!). Eine der wichtigsten Gestaltungsmöglichkeiten ist zudem die Mitarbeiterbeteiligung wie in der spanischen Mondragon Corporation mit dem Claim „Humanity at work“. Die Genossenschaft erarbeitet in über 120 Kooperativen mit 40.000 Mitarbeitern ihren Jahresumsatz von 4,8 Milliarden US Dollar.
Fazit: Dieses Buch sollten vor allem diejenigen (von Euch) lesen, die immer noch an die Mär vom Zusammenhang von Wohlstand und Lebensqualität glauben. Wer dann nicht von vornherein in eine vollumfassende Verleugnung geht, dürfte nach der Lektüre erhebliche Schwierigkeiten haben, weiterhin für eine „leistungsbezogene“ Ungleichheit bei der Einkommensverteilung zu argumentieren. Und es sollten alle diejenigen lesen, die der Einkommensschere bereits skeptisch gegenüber stehen. Danach hat man und frau eine Menge Argumente für die nächste Diskussion mit Wohlstandsgläubigen.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Wilkinson, R.; Pickett, K. (2009): Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Tolkemitt. 336 Seiten, gebunden. 19,90 €
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  1. […] der Nationen” zurückgehe. Von Sedláčeks “Ökonomie von Gut und Böse” (→Rezension) habe ich gelernt: Das ist nur die halbe Wahrheit, hat doch Smith als Moraltheologe (sic!) in […]

  2. […] Reich. Die Autorinnen verweisen auf die bahnbrechende Studie von Wilkinson und Pickett (→”Gleichheit ist Glück“), die in akribischer statistischer Arbeit zeigen konnten, dass diese Ungleichverteilung eine […]

  3. […] geht immer weiter auseinander.” Da kann ich mitgehen, denke an Wilkinsons und Picketts “Gleichheit ist Glück“. Die Grundidee der Börse sei eigentlich eine demokratische: Wir selbst können unser Geld […]

  4. […] vieles, was andere AutorInnen in anderen Büchern in Details ausführen (→Wieviel ist genug, →Gleichheit ist Glück, →Faktor Mensch, →Postwachstumsgesellschaft, →Haben oder Sein – und viele […]

  5. […] Mittlere Technologie: Diesen begriff prägte Schumacher und setzte gleichzeitig eine weitere, pointierte Formulierung in die Welt: Die Produktion der Massen statt Massenproduktion. Technologien und Produktionsmittel müssen demokratisiert werden. Denn durch die hochkomplexen und infolgedessen äußerst kostenintensiven Technologien kommt es fast automatisch zu deren Zentralisierung und damit Kontrolle durch einige wenige Menschen. Würden hingegen deutlich einfachere Technologien durch mehr Menschen lokal zur Produktion genutzt, hätte das diverse Vorteile: Markteintrittsbarieren werden gesenkt und dadurch zusätzlich die Demokratisierung der Wirtschaft ermöglicht. Das wiederum hätte zur Folge, dass im Sinne der Wissensgesellschaft schlecht ausgebildete Menschen wieder im Arbeitsmarkt Fuß fassen könnten. Letztlich würde diese Strategie die enorme, sich immer weiter öffnende Einkommensschwere wieder deutlich schließen. Sofern die Hebelwirkung zur Erzielung des Gehalts von der eigenen Schaffenskraft abhängt, würden sich die Einkommensunterschiede in überschaubaren Grenzen bewegen. Dadurch würde die Ungleichheit nivelliert, die zum großen Teil zu einer Menge unserer heutigen Probleme führt (→”Gleichheit ist Glück“). […]

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