Die Essensfälscher

Liebe Leserinnen und Leser!

An der Lebensmittelindustrie kommt niemand vorbei. Wir alle müssen essen, mehr oder weniger. Und wenn wir uns selbst in einem Kraftakt freigemacht haben von dem Müll, denn uns die Weltmarktführer wie Nestlé oder Kraft Food so aufdrängen, dann müssen wir zumindest hie und da klein beigeben, wenn wir Kindern haben. Denn denen würde eine orthodoxe Ernährungshaltung wohl kaum schmecken. Wir würden vermutlich das Gegenteil dessen erreichen, was wir wollen: Unsere Kinder zu einer gesunden Ernährungsweise zu erziehen, ihnen einen Geschmack vermitteln jenseits von Glutamat und Zuckerbomben. Aber das können wir uns abschminken. Ab und an an werden wir klein beigeben müssen, um nicht als Dogmatiker im Gedächtnis unserer Kinder hängen zu bleiben. Well done, Nestlé und Mitbewerber! Und die Politik? Spielt mit, und zwar nach den Regeln der Lobby. Was da Filz zwischen Wirtschaft und Politik auf dem Rücken von uns Verbrauchern gespielt wird, ist Lichtjahre entfernt von einer Wirtschaft, die von Menschen für Menschen gemacht wird. Von ja, für – definitiv nein. Bestenfalls für die Menschen, die als Shareholder möglichst schnelles Wachstum von den Lebensmittelgiganten fordern. Thilo Bode klärt auf. Jeder der Kinder hat und jeder, der sich selbst nicht mit Chemiemüll versauen will, sollte dieses Buch lesen.

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Im ersten Kapitel erläutert Thilo Bode, Gründer und Chef von Foodwatch, warum wir eigentlich von der Nahrungsmittelindustrie so verarscht werden (jede andere, weniger deftige Formulierung wäre ein Euphemismus): Es ist der allgegenwärtige Wachstumszwang, in den wir uns gesamtgesellschaftlich und -wirtschaftlich begeben haben. Es sind die Mechanismen ewigen Wachstums, am besten exponentieller Renditen für die Shareholder, die die (Top-)Manager aller Aktiengesellschaften unter Druck setzen. Wenn die Lebensmittel nicht maximal effizient und kostengünstig produziert und so billig wie möglich verkauft werden, droht das wirtschaftliche Aus. Zudem führt der Wachstumszwang dazu, ständig „Innovationen“ zu erfinden, um die ohnehin übersättigte und zunehmend übergewichtige Kundschaft zum Konsum von noch mehr Lebensmittel zu bewegen. Das ist die Ausgangsbasis für alle weiteren Schandtaten.

Eine solche an den Haaren herbeigezogene Innovation ist das „Funktionsessen“ (Funktional Food): Lebensmittel, die angeblich besonders gesundheitsfördernde Wirkungen haben. LC1 und Actimel sind die Stellvertreter für diesen erbärmlichen Nonsens. Jogurts, die sich positiv auf die Darmflora auswirken oder das Immunsystem stärken sollen – und zwar mehr, als das gesunde Nahrungsmittel so oder so schon tun. Natürlich fehlt bislang jeder wissenschaftliche Beweis und so schloss beispielsweise der Actimel Hersteller Danone mit 35 Millionen Dollar den größten Vergleich, der je wegen irreführender Werbung in den USA geschlossen wurde. Die bei uns berühmte Margarine „Becel“ gehört auch in diese Kategorie. Sie senkt tatsächlich den Cholesterinspiegel – aber was, wenn nun Kunden die Margarine essen, deren Cholesterinspiegel völlig in Ordnung ist? Ähnliches Schindluder wird mit den allgegenwärtigen Vitaminen getrieben. Es gibt eine regelrechte Vitaminisierung. In zunehmend mehr Lebensmittel stecken alle möglichen Vitamine, dass man mittlerweile davon ausgehen kann, eher zuviel als zuwenig Vitamine zu sich zu nehmen. Schließlich verfügen ja natürlich Lebensmittel ohnedies über Vitamine…

Bode, Thilo

 Thilo Bode, Vorstand foodwatch e.V.

Da wir in einer zunehmend entwurzelten und globalisierten Welt leben, sehnen wir uns nach ein bisschen Heimatgefühl und guter Handwerkskunst. Prima, denken sich die Vertreter der Lebensmittelbranche! Da kann man Geld draus machen: Traditionelle und regionale Lebensmittel. Zum Beispiel mit „Schwarzwälder Schinken“. Der muss natürlich bestimmte Auflagen erfüllen, die – anders als man mit gesunden Menschenverstand vermuten würde – absolut schwachsinnig sind. Das Wesentliche ist nämlich der Herstellungssort: Der muss im Schwarzwald liegen. Der Rest, zum Beispiel die Schweine, können aus ganz Europa angekarrt werden. Das wir Verbraucher damit vermutlich in die Irre geführt werden und glauben, wir würden Schinken kaufen und essen, der von Schwarzwälder Schweinen stammt – ja das ist natürlich reiner Zufall. Die „g.g.A.“, die „geschützten geographischen Angaben“, sind ebenso willkürlich wie beliebt.

Besonders gut gefallen hat mir die Niedertracht, mit der die großen Lebensmittelkonzerne ihre Gewinne auf Kosten unserer Kinder maximieren. Durch geschickte Werbung, die Ihre Wirkung nicht verfehlt, werden immer mehr Eltern und Kinder dazu animiert, immer zuckerreichere „Pausensnacks“ und dergleichen mehr in sich reinzuschaufeln. Gleichzeitig stehlen sich die Konzerne über die Hintertür von Sport- und Ernährungs-Initiativen in die Schulen (beispielsweise sponsert Kellog seit 20 Jahren „Jugend trainiert für Olympia“…), um die Schüler und Eltern einer noch umfassenderen Gehirnwäsche zu unterziehen und vor allem: Den Geschmack für die Zukunft auf Industrieessen zu prägen. Die Krönung liegt jedoch darin, die Schuld für die nachweislich drastisch steigende Verfettung  bei Kindern in Europa und den USA den so Manipulierten selbst in die Schuhe zu schieben: Wer zu fett ist (und somit also ein besonders guter Kunde von Nestlé et al.), ist zu blöd, erstens die „Werbewelten“ der Hersteller richtig zu interpretieren (ernsthaft: die Lobbyisten fordern Werbeaufklärung für Kinder) und zweitens zu faul,  sich angemessen zu bewegen, um all die „Milchschnitten“-Kalorien wieder abzutrainieren (tatsächlich zeigen mehrere Studien, dass sich Kinder keineswegs weniger bewegen als in den 1970ern, Erwachsene bewegen sich sogar durchschnittlich mehr). Bode schreibt zu Recht, dass die Struktur des Werbeetats der Nahrunsmittelproduzenten Bände spricht. 630 Millionen Euro fließen in die Bewerbung von Süßwaren, jedoch nur 66 Millionen in Brot und Backwaren und nur 4,6 bis 6,5 Millionen in Früchte und Gemüse. Noch Fragen?

Ein großer Dank gebührt Bode für die Entlarvung des volksverhöhnenden CSR Blödsinns: „Corporate Social Responsibility“, die unternehmerische Sozialverantwortung plötzlich extra mit einem Label zu versehen hat mir noch nie eingeleuchtet, geschweige denn mich überzeugt. Diese Verantwortung sollte ja wohl selbstverständlich sein. Aber nein, wenn man CSR Maßnahmen nun extra benennen kann, lässt sich daraus eine veritable Marketingsau schlachten. Wenn zum Beispiel Mars Deutschland absolut unmissverständlich schreibt „unser Ziel ist Wachstum“, dann sind alle CSR Maßnahmen zur Gesundheit und Bewegungsförderung von Kindern eindeutig der Gewinnmaximierung untergeordnet und wohl nur ein Marketinginstrument. „…wenn Mars weiter wachsen will, muss die Firma – Verantwortung hin, Nachhaltigkeit her – ein vitales Interesse daran haben, jedes Jahr ehe noch mehr „Bountys“, „Balistos“ … zu verkaufen als im Jahr zuvor.“ (S. 108) Besonders deutlich wird dieser unsägliche Bullshit (das eben treffende Wort dafür), wenn man sich die CSR Maßnahme von Krombacher anschaut: Für jeden Bierkasten wird ein Quadratmeter Regenwald gerettet. Heyho, hoch die Humpen: „Komasäufer (sind ) die besten Umweltschützer“! (S. 110) Damit nicht genug. Der Bierhersteller war zum Zeitpunkt dieser großartigen Naturschutz-CSR-Maßnahme gleichzeitig Förderer der Formel 1. Das ist konsequentes Handeln – Marketinghandeln. Ach ja: Danone hat sensationelle, beinahe geschäftsschädigende 512.000 Euro für Impfstoffe in Afrika zur Verfügung gestellt – bei einem Umsatz von 15 Milliarden Euro, 2,29 Milliarden Euro operativem Gewinn und  50-60 Millionen Euro Werbeetat alleine in Deutschland. Sollte das jemand für eine Ausnahme halten, lohnt die Lektüre um so mehr. Denn Bode hat noch einige weitere Beispiele auf Lager.

Bio ist in. Seit Jahren. Der Markt wächst. Warum wohl? Weil zunehmend mehr Menschen den Industriemüll in sich reinstopfen wollen? Wohl eher nicht. Wie wunderbar!! Da ist ein neuer Wachstumsmarkt entstanden, der unbedingt bedient werden will. Natürlich möglichst billig und gewinnmaximierend von den Großen der Branche. Von Vorteil ist dabei, das das Deutsche und Europäische Biosiegel nur bedingt das garantiert, was Konsumenten eigentlich unter „Bio“ verstehen. Außerdem haben einige der Hersteller den ohnehin vorhandenen Biosiegel-Dschungel noch dichter geflochten, indem sie eigene, alles andere als Bio-garantierende Siegel erfinden und auf die eigenen Verpackungen drucken. Interessant ist allerdings ein Widerspruch zu Bodes Argumentation, dass Selbstverpflichtung nicht funktionieren würde und wir deshalb mehr staatliche Kontrolle brauchen: Die selbstverpflichtenden Biosiegel von Demeter und Bioland haben die strengsten Anforderungen von allen Siegeln, die auch weit über die staatlichen Siegel hinausgehen.

Schlussendlich macht Bode das komplette staatliche Versagen transparent: Die Lebensmittelkontrolle stellt nur noch fest, ist aber völlig unfähig, ernsthafte Konsequenzen aus den nachgewiesenen Mängeln und Betrugsszenarien zu ziehen. Der bittere Witz an der Sache: Staatliche Stellen ermahnen uns Konsumenten, bitte selbst genau hinzuschauen. Und nehmen dann noch all diejenigen in Schutz, die bewiesenermaßen Gammelfleisch und andere Schweinereien unters Volk bringen. Der Staat wird, so Bode, seiner eigentlichen verfassungsdefinierten Aufgabe nicht mehr gerecht. Er schützt nicht das Gemeinwohl, sondern die  Gewinnmaximierungs-Interessen der Privatwirtschaft.

Fazit: Dieses Buch sollte jeder lesen, der noch essen muss und nicht von Licht und Liebe alleine lebt. Ein Grundlagenwerk für eine bessere (Lebensmittel-)Welt.

 

Herzliche Grüße

Andreas Zeuch

 

Bode, T. (2012): Die Essenfälscher. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen. Fischer. Taschenbuch, 223 Seiten.

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  1. […] einer Woche hatte ich meine letzte Buchempfehlung in Zeuchs Buchtipps veröffentlicht: “Die Essensfälscher” von Thilo Bode. Der Untertitel fasst die miesen Spiele der Lebensmittelindustrie, vor allem der großen Konzerne, […]

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