Hoppla, ich habe Ihre Firma versenkt!
Liebe Leserinnen und Leser!
Das ist erfrischend. Eine ehemals sehr erfolgreiche Unternehmensberaterin im klassischen Sinn der Major Consulting Firmen plaudert aus dem Nähkästchen. Und was da zutage kommt, ist alles andere als vorteilhaft für all die Meckis, BCGs und Bergers dieser Welt. Karen Phelan war mittendrin im Gewühl um die besten Konzepte und Tools mit dem Ziel, die dicksten Fische zu angeln. Und zwar ausreichend lange, um wirklich zu wissen, worüber sie schreibt: Satte dreißig Jahre arbeitet sie nun als Managementberaterin und kommt zu Ergebnissen, die sehr an andere aktuelle Bücher wie Patrick Cowdens →“Neustart“ oder Gebhard Borcks →“Affenmärchen“ erinnern. Mir macht dieses Buch Mut, denn seine Autorin beweist, dass es möglich ist, sich auch nach vielen Jahren der Durchseuchung mit unsinnigstem Hardcoreberaterschwachsinn eine gesunde Selbstkritik zu bewahren – und die Konsequenzen zu ziehen.
Kurz gesagt könnte man Karen Phelan mit den Worten des deutschen Ökonomen Wilhelm Röpke zusammenfassen: „Das Maß der Wirtschaft ist der Mensch.“ Ich selbst hatte das in einem Vortrag mal so formuliert: „Wirtschaft wird von Menschen gemacht. Und sie sollte für Menschen gemacht werden. Jegliches Wirtschaften, das dies nicht beachtet, ist krankes Wirtschaften.“ Phelan würde das nicht nur unterschreiben, sondern mit vielen, teils haarsträubenden Anekdoten untermauern und illustrieren. So ist ihr Buch eine gelungene Balance aus eben jenen persönlichen Geschichten und abstrahierenden Analysen und konkreten Lösungsvorschlägen.
In acht Kapiteln zerschlägt Phelan den bis heute üblichen Nonsens klassischer Unternehmensberatung: Strategische Planung, Umstrukturierungen, Messsysteme, Leistungsmanagement, Managementmodelle, Talentmanagement, Führungsmodelle und Führungskräfteentwicklung um letztlich zu dem Schluss zu gelangen, dass Betriebsführung eben keine Wissenschaft ist, wie Frederick Winslow Taylor Anfang des 20. Jahrhunderts behauptet hat. Phelan macht dabei aus Ihrem Frust, Entsetzen und Ärger keinen Hehl, vergisst dabei aber nie, dass sie selbst lange genug die üblichen Beraterweisheiten und -attitüden vor sich hergetragen hat. Konsequenterweise entschuldigt sie sich für einige ihrer – aus heutiger Sicht – Dummheiten, die sicher nicht zum Wohle der Kunden waren. Und zwar durchaus glaubwürdig.
Der Wert dieses Buches besteht darin, dass Phelan viele der heute immer noch üblichen Methoden und Konzepte sowie Herangehensweise ihrer KollegInnen kritisch beleuchtet. All dies schmilzt wie Schnee in der Julisonne, übrig bleibt eigentlich fast gar nichts. Auf diese Weise entsteht die Frage, wie es möglich war und immer noch ist, mit derart viel heißer Luft, die nachweislich zu vielen negativen Effekten führt, über Jahrzehnte Unternehmen „beraten“ zu haben. Ein gutes Beispiel kommt gleich im ersten Kapitel über Strategische Planung: „Das Ganze wäre in der Tat zum Schreien komisch, wäre es nicht gleichzeitig so traurig.“ (S. 35). Phelan fasst die „Quintessenz der geasammelten Weisheit der Beratungsbranche“ (a.a.O.) zusammen: „Sage die Zukunft voraus. Definiere ein möglichst verwegenes Ziel, das sich aus dieser Zukunftsvision ergibt. Überzeuge andere, pragmatischer ausgerichtete Personen die nicht am Entwicklungsprozess teilgenommen haben und auf ihr monatliches Gehalt angewiesen sind, davon, an der Umsetzung mitzuarbeiten. Arbeite an nichts anderem. Feiere den Erfolg!“ (a.a.O.). Die Lösung besteht für Phelan darin, erstens den Plan nicht mit der Wirklichkeit zu verwechseln und vor allem zweitens die Haltung einzunehmen, dass der Wert nicht im Plan liegt, sondern im nie endenden Prozess der Planung. Damit ist sie sehr nah an Arie de Geus (→“Jenseits der Ökonomie„), der genau dies bereits 1988 in seinem einflussreichen Artikel „Planning as Learning“ beschrieb. Leider scheint das Phelan selbst nicht klar zu sein, denn de Geus erwähnt sie weder in diesem Zusammenhang noch im Literaturverzeichnis.
Ein zweites, nicht minder beeindruckendes Beispiel ist das Leistungsmanagement, das unter dem Strich Leistungsträger und Unternehmen schädigt. Ausgangspunkt ist eine aggressive Vermarktung dieses „Produkts“ seitens der bekannten Beratungsfirmen, die vor allem mit dem Schüren von Ängsten arbeiten. Wer seine Leistungsträger nicht ordentlich identifiziert und managt, wird den War for Talents verlieren. Phelan kommentiert dies recht lakonisch: „Meine Vermutung ist, dass die Angstmacherei deshalb notwendig ist, weil die Methoden selbst völlig schwachsinnig sind.“ (S. 88). Klare Worte. Ihre Begründung dafür ist leicht nachvollziehbar. Erstens wurde die „Leistungssteuerung … zu einem Prozess aufgebläht, der die letzten sechs Wochen eines jeden Jahres in Anspruch nahm.“ (S. 90). Ein Verwaltungs-Monster mehr in den ohnehin zumeist bürokratisch zementierten Unternehmen. Zweitens gilt: „Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in vorher bestimmte Kategorien zu pressen, ist erstens eine Riesenaufgabe (siehe Grund 1, AZ), und hinterlässt zweitens meist ein Trümmerfeld von gekränkten Emotionen.“ (S. 92). In verlauf des Kapitels macht Phelan auch noch deutlich, warum die berühmte „SMART“ Zielformel Unsinn ist (kann ich selbst bestätigen, habe jahrelang mit diesem äußerst eingeschränkten Instrument gearbeitet) und auf welchen Fehlannahmen das ganze System basiert.
Und so geht es weiter durch das Panoptikum der Beratungsabsurditäten, immer gut begründet, meistens spannend und amüsant beschrieben. Das Phelan auch ein Kind ihrer Umgebung ist und sich von einigen tieferlotenden Grundannahmen noch nicht lösen konnte, ist die einzige Kritik, die mir in den Sinn kommt: „Nicht jedes Unternehmen kann Marktführer sein und nicht alle Firmen können auf Dauer zweistellig wachsen.“ (S. 39) Spätestens an dieser Stelle wäre eine fundierte Wachstumskritik angebracht gewesen. Wohin hat uns der Wirtschaftswachstumswahnsinn geführt und welche Probleme haben wir ihm aktuell zu verdanken? Führt Wachstum überhaupt zu Wohlstand, wie von den einschlägigen Vertretern dieser Sichtweise immer wieder fest behauptet wird? Oder wie steht es um die festgefügten Hierarchien und Führungsstellen, die bis heute in fast allen Unternehmen dazu führen, dass Führung nicht bedarfsgerecht zwischen allen Mitarbeitern hin und her wandert?
Fazit: Ein Buch vor allem für alle jene, die Berater beauftragen: Unternehmer, Geschäftsführer und Vorstände. Das Top-Management sollte wissen, worauf es sich einlässt, wenn es die „Großen“ der Branche ins Haus holt. Eigentlich müssten dieses Buch darüber hinaus alle Major Consulting Berater selbst lesen. Aber die würden erfolgreich ihre gesammelten Abwehrmechanismen aktivieren. Vielleicht sollte es ihnen jemand heimlich als subliminale Botschaft auf ihren Selbstaffimrations-CDs unterjubeln…
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Phelan, K. (2013): Hoppla, ich habe Ihre Firma versenkt. Wenn Unternehmensberater das Problem sind und nicht die Lösung. orell füssli. Gebunden mit Schutzumschlag, 222 Seiten. 21,95€
Noch absurder wird es, wenn man sich vor Augen führt, dass auch kaum einer der Beauftrager (Kunden) dieser Beratungsfirmen überhaupt an deren Rezepte, Ziele und Methoden glaubt. Fast jeder ist davon überzeugt, dass es ein enorm teurer Nonesense ist, der da passiert. Und beauftragen sie doch. Es ist die Hoffnung, dass man die Realitäten schnell beiseite wünschen kann und dass die damit verursachten Probleme wenigstens nicht mehr die alten sind, sondern brandneue. Psychologisch verständlich, objektiver Wahnsinn.
Danke für Deinen Kommentar. Sehe ich auch so und möchte noch hinzufügen: Ich habe immer wieder gemerkt, dass es darum geht, sich ein Alibi zu verschaffen. Natürlich insbesondere dann, wenn der Beratungsprozess mit scheinbar nötigen und schmerzhaften Umstrukturierungen einhergeht oder wenn Entlassungen eine Folge sind.
Ja: Rechtfertigung! Über 50% der Manager treffen Entscheidungen intuitiv und holen sich noch einen Berater in Haus, der dann genau dieser Entscheidung für teures Geld noch unterfüttern soll:
Wie trifft man gute Entscheidungen? Ratio versus Intuition …
Hm, nicht sicher, dass man auf Rechtfertigung und Alibi aus ist. Meine Erfahrung ist nicht, dass Entscheider auf diesem Level (z.B. CEO) Schwierigkeiten haben, harte Entscheidungen zu kommunizieren. Eher im Gegenteil: Es fällt ihnen oft viel zu leicht oder sie delegieren die Kommunikation sowieso an ihre Spin Doctors.
Ich beobachte wirklich eher eine irrationale Hoffnung. Man glaubt wider besseren Wissens an die (Er-)Lösung. Man will jemanden haben, zu dem man sagen kann: „Make it go away!“, wenn die internen Ressourcen nicht reichen. Und wenn man wieder hinsieht, ist das Problem verschwunden oder hat eine neue Dimension.
Allenfalls ein interessantes Phänomen.
Hi Gilbert,
nun, ich glaube – wie so oft – eher an ein sowohl-als-auch, denn an ein entweder-oder. Sprich: Verquere, krude Hoffnungen als auch Rechtfertigungen und Alibis. Die CEOs, die Du ansprichst, meinte ich weniger. Die finden sich m.E. nach eher im Konzernbereich. Ich bin viel im Mittelstand unterwegs. Da sind die noch nicht so abgebrüht.
Ein Kunde meinte im letzten Jahr sinngemäß: „Herr Zeuch, hier wurden regelrecht ganze Beraterhorden durchs Haus gescheucht. Meine Leute sind komplett beratungsmüde, zu Recht. Sie müssen da einen wirklichen Unterschied machen, damit wir gemeinsam mit allen arbeiten können.“ Allen in der GF war klar, dass weitere klassische Beratungsansätze nicht nur fruchtlos sind, sondern sogar im Gegenteil aktiv die Motivation der MA zerstört. Auf echte Lösungen hat da keiner gehofft. Deswegen wurde ja ich engagiert, weil ich nicht nur über Human KAPITAL (sic!) schwafel, sondern MA gleichberechtigt zu FK einbinde und letzteren klar mache, dass die hinterher nicht einfach die Entscheidungen der MA wieder kassieren können.
Herzlich,
Andreas
Lieber Andreas,
wieder herrlich frisch geschrieben und ein Thema, das auch Gutner Dueck schon mal auf einem IT-Symposium vor 3 oder 4 Jahren den dort zuhörenden Managern sagte: „Im Prinzip gehören alle unsere alten Managementmethoden auf den Müllhaufen.“ Leider ist das Video seiner Rede nicht mehr im Netz.
Sind Business Consultants Scharlatane?
Dr. Martin Bartonitz 5 Comments
Auch Niels Pflaeging hatte in seinem Vortrag „Why Management is Dispensable“ auf der Stoos Connect! am 25.01.2013 in Amsterdam ähnlich formuliert, u.a.:
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Hört auf mit dem Command and Control in den Firmen sondern geht über zu Leadership.
Hört auf, die einzelnen Teile zu optimieren in der Hoffnung, dass das Ganze damit auch besser würde.
Gebt die Kontrolle an die Periphere, an jene Zellen, die mit dem Kunden in Kontakt stehen, und unterstützt ihre Arbeit von innen heraus.
Werft die hunderte von überflüssigen Steuerungsmethoden über Board, als da seinen z.B. das Budgeting, Projektmanagement, Personalmanagement, etc
Schaut Euch an, wie das die Vorbereiter machen und lasst Euch von ihnen inspirieren.
Ich hatte das in meinem Artikel Sind Business Consultants Scharlatane? aufgegriffen.
Viele Grüße
Martin
Hi Martin,
danke für Deine Anmerkungen, die mal wieder eine schöne Ergänzung sind!
Herzlich,
Andreas