Affenmärchen

Liebe Leserinnen und Leser!

Ich hatte lange überlegt, ob ich dieses Buch rezensiere. Nicht etwa, weil ich zuviel zu meckern hätte. Vielmehr ist Gebhard Borck ein Beraterkollege, mit dem ich mehrere Jahre intensiv zusammengearbeitet hatte und bis heute kollegial verbunden bin. Die Entstehung dieses Buches fiel genau in die Zeit unserer intensiven Kooperation. Gebhard fing mit seinem Buch an, als ich gerade mein „Feel it!“ fertiggestellt hatte. So wie er mich seinerzeit intensiv bei der Erstellung meines Buches durch permanentes Gegenlesen bei der Manuskripterstellung unterstützte, wurde nun ich sein Sparringspartner beim Schreiben. Der Grund, das Buch nicht zu empfehlen, lag also darin, dass ich den Eindruck hatte, nicht ausreichend Distanz dazu zu haben. Nun, offensichtlich sehe ich das heute anders. Nachdem mir in diversen Büchern das Thema Sinn im Beruf immer wieder über den Weg lief, kann ich nur feststellen: Affenmärchen ist das mit Abstand beste Buch zu diesem Thema.

In neun Kapiteln demontiert Gebhard die bestehende Betriebswirtschaft, wie es nur jemand kann, der diese Disziplin von der Pike auf gelernt hat. Er beginnt seinen Rückbau, oder eher noch: Seine kreative Zerstörung jedoch mit einer volkswirtschaftlichen Analyse: „Arbeit platzt“ – die Illusion der Vollbeschäftigung und der Zusammenbruch bisheriger gesellschaftlicher (Schein-)Vereinbarungen wird enttarnt: „… unter Vollbeschäftigung haben wir in Wahrheit mehr Menschen mit durchgeschleppt als heute.“ (S. 23). Und mehr noch: Die, die einer Erwerbsarbeit nachgehen, sind zwar zufriedener als die, die eine suchen („Arbeitslose“), allerdings nur solange man nicht den ganzen lieben langen Tag in Arbeits- und Freizeit unterteilt. Denn dann stellt sich schnell heraus, das die Angestellten während der Arbeit am unzufriedensten sind und dies den restlichen Tag über in ihrer Freizeit durch eine deutlich höhere Lebenszufriedenheit wieder ausgleichen, wie die Studie „Dissatisfied with life, but having a good day“ zeigt. Kurzum: Die Zeiten effizienzgetriebener, mechanischer, und klar messbarer Arbeit sind unwiederbringlich vorbei. Denn überall da, wo Maschinen die besseren Menschen sind, macht es einfach keinen Sinn, als Mensch noch zu arbeiten.

Im zweiten Kapitel „Mythos Arbeit“ widmet sich Gebhard dem Transformationsproblem der Arbeit, also der Differenz des jeweils individuellen Leistungspotenzials und tatsächlicher Arbeitsleistung und -produktivität. Diese Differenz ist das große Kern-Symptom entfremdeter Arbeit. Sie ist der Ausgangspunkt für die bekannten „Menschenbildstörungen“ (so der Titel des dritten Kapitels), vermittels derer Unternehmer und Pseudowissenschaftler wie Frederick Winslow Taylor die Schuld an der Misere den Arbeitern und Angestellten in die Schuhe schieben: Faulheit, Dummheit und Eigennutzenmaximierung. Diese Differenz zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit ist der Grund, warum wir bis heute versuchen, sie durch Zuckerbrot und Peitsche zu überwinden. Einerseits locken wir unsere Mitarbeiter mit Geld und häufig leistungsbezogenem Gehaltsanteilen, andererseits drohen wir bei Nichterfüllung der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung mit Kündigung. Letzteres ist zwar nicht täglich explizit ausgesprochen, baumelt aber faktisch als Damoklesschwert ständig über den Häuptern aller Angestellten.

Später wird im Kapitel „Der Bluff“ deutlich, „warum leistungsorientierte Bezahlsysteme dumm machen“. Gebhard stellt sich keineswegs auf die simple entweder-oder Seite zum Thema Motivation von Mitarbeitern, um das eben angesprochene Transformationsproblem der Arbeit zu lösen. Vielmehr stellt er klar, dass äußere als auch innere Reize motivieren: „Gibt man uns Menschen einen Plan und koppelt daran unsere Existenz und unser Einkommen, dann nutzen wir unsere Intelligenz, sobald wir den Plan akzeptiert haben, um die Vorgaben zu erreichen.“ (S. 82) Aber damit wird eben nur mittelmäßiger Zielerreichung Tor und Tür geöffnet. Darüber hinaus stellt Gebhard zu Recht ein äußerst wichtigen Punkt fest: Jedes Unternehmen ist mit natürlichen äußeren Anreizen und Motivatoren gesegnet: „Kunden, Wettbewerber und Lieferanten bestimmen maßgelbich die direkten Einwirkungen…“ (S. 83) Diese extrinsische Motivation wird natürlich noch um diverse weitere Anreize erweitert, sobald Politik, Gesetzgebung, gesellschaftliche Werte und dergleichen mehr ins Spiel kommen. Das Problem der künstlichen finanziellen Anreizung besteht nun nicht nur darin, dass sie Kreativität häufig unterminiert, sondern auch dass sie wie eine „Milchglasscheibe“ zwischen den natürlichen externen Motivatoren und den Mitarbeiter wirkt: So wird die wirtschaftliche Wirklichkeit verschleiert.

Management ist Geldverschwendung, stellt Gebhard im siebten Kapitel fest. Um seine Aussage zu fundieren, führt er ein vielsagendes Gedankenexperiment durch. Basierend auf Ergebnissen aus dem Jahr 2007 werden zunächst die Spitzengehälter einiger deutscher Top-Manager in Vergleich zur Mitarbeiterzahlen und Durchschnittseinkommen der jeweiligen Arbeitgeber der Spitzenbürokraten gestellt. Dann folgt die Analyse zweier typischer Rechtfertigungen für die Millionensaläre: Ertragsleistung, sprich der Gewinn, der unter der Führung eines der Vorstände erzielt wurde und die angebotenen Arbeitsplätze unter der jeweiligen Führung. In beiden Fällen wird sofort deutlich, dass es keinerlei Bezug zwischen den Gehältern und solchen Rechtfertigungsdaten gibt. Damit nicht genug. Ein paar Seiten weiter führt Gebhard eine Simulation der Wertigkeit des Managements und anderer Mitarbeiter aus. Das Ergebnis: Management im Sinne der Tayloristischen Trennung von Denken und Handeln ist verzichtbar. Wir brauchen vielmehr Selbstorganisation im Sinne nomadischer Führung, anstelle von formalen hierarchischen Strukturen, aus deren Sonderstellungen sich dann im zweiten Schritt höhere und teils exorbitant unrealistische Mond-Gehälter ableiten.

In den letzten beiden Kapiteln verdichten sich die Alternativen, wie sinnvolles, menschliches Wirtschaften aussehen kann. In regelmäßigen Abständen finden sich sehr gut aufbereitete und strukturierte „Empfehlungen an die Unternehmer“, die Perspektiv-Fragen, Methoden, Dokumentations-Technologien und Rahmenbedingungen umfassen. Allerspätestens hier wird allen Leserinnen und Lesern klar, wie man Unternehmen auch gänzlich anders gestalten und steuern kann.
Ein zentraler Teil besteht dort in der bislang einzigartigen Analyse verschiedener Unterscheidungen des Allgemeinplatzes „Sinn“. Denn dieser Begriff wird in den letzten Jahren zunehmend inflationär und unreflektiert benutzt, mit der Gießkanne über alle möglichen Probleme ausgeschüttet, in der Hoffnung, das eine oder andere Samenkorn zum Sprießen zu bringen. Gebhard unterscheidet Eigensinn, Fremdsinn, Gemeinsinn und Gemeinwohlsinn. Außerdem stellt er Sinn in den Kontext von Umfeld und Zeit. Auf diesem Wege wird der Begriff Sinn im Zusammenhang mit Arbeit endlich präzise und handhabbar.
Im Zusammenhang mit dieser Begriffsschärfung steht letztlich Gebhards Konzept der Sinnkopplung: Sie entsteht als fragiler, dynamischer Energieschluss zwischen Mitarbeitern und Unternehmen auf der Basis von Freiwilligkeit. Sinnstiftung ist zeitgeistiger Nonsens, niemand kann einem anderen Sinn stiften. Sinn kann nur jeder für sich entdecken und leben. Somit kann ein Unternehmen nur die Möglichkeit anbieten, dass sich Menschen dort sinnhaft ankoppeln. Und jederzeit wieder entkoppeln. Das führt dann zu einer fortwährenden Kommunikation und Interaktion über den Sinn zu leistender Arbeit.

Natürlich ist es jedem Unternehmer, jedem Geschäftsführer oder Vorstand überlassen, ob er oder sie Sinnkopplung anstelle der bisherigen Konzepte zur Mitarbeiterrekrutierung und -bindung einsetzen will oder nicht. Ob es allerdings in Anbetracht unserer heutigen Herausforderungen sinnvoll ist (sic!), die alten Wege weiter zu optimieren, ist mehr als fragwürdig.

Fazit: Eine der Pflichtlektüren für UnternehmerInnen, Top-Entscheider und Gründer, die eine menschliche Betriebswirtschaft umsetzen wollen. Und zur Zeit das Buch, wenn es um sinngekoppelte Arbeit geht.

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

Borck, G. (2011): Affenmärchen. Arbeit frei von Lack und Leder. Edition sinnvoll · wirtschaften. Paperback, 192 Seiten. 29,90 € als Hardcopy, 8,90 € als E-Book.

9 Kommentare

Trackbacks & Pingbacks

  1. 1982 Archive - Zeuchs Buchtipps sagt:

    […] Affenmärchen30. Juli 2013 – 02:56 […]

  2. […] ist mittlerweile das dritte Buch meines Kollegen Gebhard Borck. Auf “Affenmärchen. Arbeit frei von Lack und Leder“, dem Debut mit einem Managementsachbuch folgte der erste Ratgeber “Dein Preis” […]

  3. […] Glücksbringern: Stabile menschliche Beziehungen, Gesundheit, sinnstiftende Tätigkeit (→ “Affenmärchen” über Sinnkopplung im Beruf), Selbstentfaltung, Mitbestimmung (→”Das […]

  4. […] Borck hat nach →”Affenmärchen” sein zweites Buch auf den Markt gebracht: “Dein Preis. wie Du ein Angebot erstellst, […]

  5. Wrong Turn - Zeuchs Buchtipps sagt:

    […] der nach meinem Wissensstand eindeutig von Gebhard Borck entwickelt und in seinem Buch →”Affenmärchen” bereits 2011 ausgeführt wurde. Borck indes habe ich weder als Inspirationsquelle noch als […]

  6. […] “Neustart“, “Hoppla, ich habe Ihre Firma versenkt“, “Affenmärchen” und “Führen mit flexiblen […]

  7. […] die aus meiner Sicht dorthin gehören. Eines jedenfalls auf alle Fälle: Gebhard Borcks →”Affenmärchen“, in dem er das Konzept der Sinnkopplung entwirft, auf das Niels sich ebenfalls bezieht. […]

  8. […] dies bislang am besten in seinem Konzept der “Sinnkopplung” herausgearbeitet (→”Affenmärchen“). Pink beschreibt, wie das Konzept “Gewinnmaximierung” um die subjektive […]

  9. […] andere aktuelle Bücher wie Patrick Cowdens →”Neustart” oder Gebhard Borcks →”Affenmärchen“ erinnern. Mir macht dieses Buch Mut, denn seine Autorin beweist, dass es möglich ist, sich […]

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert