Das soziale Stiftungsunternehmen

Liebe Leserinnen und Leser!

Zunächst Euch allen ein gutes, erfolgreiches und inspirierendes 2015! Ich hoffe Ihr seid gut ins neue Jahr gekommen.

Mit der ersten Rezension 2015 empfehle ich ein aktuelles Buch, das mir bislang nicht aufgefallen war. Im Rahmen der Recherchen für mein eigenes neues Buch habe ich den Autoren Prof. Dr. Lutz Frühbrodt angeschrieben, da ich zwei anregende Artikel von ihm gelesen hatte*. Er hat mir schnell geantwortet und mir das hier vorgestellte Buch umgehend gesendet. Wie aus dem unmissverständlichen Titel hervorgeht, fokussiert Frühbrodt das Modell des Stiftungsunternehmens. Und zwar kurz und bündig, prägnant und leicht verständlich. Eine tolle Lektüre zum Einstieg ins neue Jahr.

Frühbrodt 2014 - Stiftungsunternehmen

Frühbrodt steigt im ersten Kapitel mit einer kurzen Betrachtung der aktuellen Wirtschafts- und dazugehörigen Stimmungslage ein: „Krise ohne (W)ende: Wo bleibt der Gegenentwurf?“ Er bezieht sich auf eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2012 aus der unter anderem hervorgeht, dass über 80% der Befragten davon ausgehen, dass das momentane Wirtschaftssystem an seine Grenzen gestoßen sei. Weniger als ein Drittel vertraut nicht darauf, dass der Markt sich selbst wieder erfolgreich neu organisiert. Es scheint eine Sehnsucht nach einer neuen Wirtschaftsordnung zu geben. Politiker lassen allerdings die Hände von der not-wendigen Transformation und zementieren nur das Althergebrachte und Nichtregierungsorganisationen verlieren sich in verteilungspolitischen und staatsdirigistischen Plänkeleien. „Die großen Gegenentwürfe lassen also auf sich warten.“ (S. 9)

Damit kommt das Unternehmen als „Reformmotor“ ins Spiel. Denn sie sind gemeinsam mit ihren Kunden die „zentralen Spieler in der Wirtschaft“. Sie prägen das gesamte System über ihre jeweiligen Unternehmenszwecke (meine Interpretation, AZ), ihre Werte und ihre gesellschaftsrechtlichen Konstitutionen. Zudem durchlaufen jährlich rund 27.000 Unternehmen eine Nachfolgeregelung, vor, während und nach der von den Inhabern und Erben entschieden werden muss, wie es weitergeht. Für die alten Gründer und Inhaber hat die Transformation in ein Stiftungsunternehmen diverse Vorteile: Die Zukunft des Unternehmens kann durch die hohe Eigenkapitalquote wesentlich besser gesichert werden als durch herkömmliche Unternehmensmodelle; das Unternehmen kann davor bewahrt werden, aufgekauft und eventuell filetiert zu werden; und schließlich kann die Unternehmenskultur besser dauerhaft geprägt werden.

Doch was ist eigentlich ein Soziales Stiftungsunternehmen? Frühbrodt bringt es so auf den Punkt:

  • Das Unternehmensvermögen wurde in eine Stiftung überführt, die alleinige Eigentümerin des Unternehmens ist
  • Anteile der jährlichen Gewinne kommen dem Unternehmen zu Gute
  • Weitere Anteile werden paritätisch an die Belegschaft ausgeschüttet
  • Es gibt eine deutliche Mitbestimmung über die rechtlichen Mindestanforderungen hinaus
  • Das Unternehmen verhält sich gegenüber seinen Stakeholdern mit hoher sozialer Verantwortung
  • Das Unternehmen erzeugt gesellschaftlich sinnvolle Produkte
  • Die Stiftung ist hauptsächlicher Träger des Unternehmens

Soweit die idealtypischen Formalitäten. Aber wie steht es um die Verwirklichung? Überraschenderweise gab es bereits 2008 419 stiftungsgetragene Unternehmen in Deutschland bei rund 20.000 Stiftungen 2014. Diese 419 Stiftungsunternehmen schrumpfen allerdings auf rund 150 zusammen, wenn man eine 100% Trägerschaft durch die Stiftung fordert – was eine Vorraussetzung zur Verwirklichung sozialer Stiftungsunternehmen ist. Denn ansonsten lässt sich nicht verhindern, das doch wieder Partikularinteressen den eigentlichen Sinn pervertieren.  Wie gut die Idee eines sozialen Stiftungsunternehmens realisiert werden kann, hängt aber auch vn der Art des Stiftungsmodells ab:

  • Im Beteiligungsträger-Modell ist „die Stiftung … (alleiniger) Gesellschafter des Unternehmens, das je nach Größe meist in Form einer GmbH oder AG organisiert ist. Das Stiftungsvermögen besteht im Wesentlichen aus Anteilen an dem Unternehmen, dessen Gewinne an die Stiftung fließen. Die Überschüsse können für die Zwecke der Stiftung eingesetzt werden und/oder ins Unternehmen zurückfließen.“ (S.21) Beispiele: Wala Stiftung, Hoppmann-Stiftung Demokratie im Alltag.
  • Bei der Stiftungs-GmbH und der Stiftung und Co. KG können GmbHs oder KGs „stiftungsähnlich instrumentalisiert werden, wenn das Stiftungskapital zu 100 Prozent in das Unternehmen eingebracht wird. Stiftung und Unternehmen verschmelzen hier miteinander.“ (S. 22) Beispiele: Hans-Schwarz-Stiftung (Lidl), Stiftung GmbH von Dietmar Hopp.
  • Bei der Doppelstiftung „hält eine gemeinnützige Stiftung den Löwenanteil … am Firmenkapital, hat aber deutlich weniger Stimmrechte und eine niedrigere prozentuale Beteiligung am Unternehmensgewinn. Genau umgekehrt ist es bei der zweiten Stiftung, einer privatnützigen Familienstiftung. Sie halte wenige Anteile, hat aber das Sagen im Unternehmen und bezieht prozentual den größten Teil des Gewinns.“ (ebnd.) Diese Konstruktion ist Lichtjahre entfernt von einer sozialen Idee oder Gemeinnützigkeit. Der Sinn und Zweck besteht vielmehr darin, über die gemeinnützige Stiftung die Unternehmensgewinne steuerbegünstigt zu kumulieren und anschließend ins Unternehmen zurück zu investieren. Die Familienstiftung dient der Gewinnmaximierung der Familienmitglieder.

Im zweiten Kapitel skizziert Frühbrodt „eine kurze Geschichte verpasster Chancen“. Denn in Deutschland hätte bereits dreimal eine Reformimpuls für die gesamte Wirtschaft entstehen können.

  • Ernst Abbe, ein enger Mitarbeiter von Carl Zeiss, gründete 1889 ein Jahr nach dem Tod des Unternehmensgründers die Carl-Zeiss-Stiftung, die damit zum ersten und heute ältesten Stiftungsunternehmen wurde. So wurde bereits 1896 festgeschrieben, dass alle Mitarbeiter einen fest vereinbarten und nicht kürzbaren Mindestlohn bekamen, am Unternehmenserfolg beteiligt wurden, Anspruch auf fest bezahlte Jahresurlaube erhielten, im Falle betriebsbedingter Kündigungen das Recht auf Abfindung hatten, nach fünf Arbeitsjahren Anspruch auf eine Invaliden- und Alterspension eingeräumt bekamen, sofern sie vor dem 40. Lebensjahr eingestellt wurden und sie seit 1900 Acht-Stunden-Tage hatten, was gesetzlich erst 1918/19 festgeschrieben wurde. Dabei blieb es aber und die Chance mehr daraus zu machen, wurde bis heute nicht genutzt.
  • Noch weitreichender wäre die zum Greifen nahe Chance gewesen, Volkswagen in ein Stiftungsunternehmen zu verwandeln. Nach dem zweiten Weltkrieg beschlagnahmte die britische Militärregierung VW und übergab 1949 die Treuhänderschaft an die neue Bundesregierung. Zwischen 1954 und 1959 gab es im Rahmen der Privatisierung ernsthafte Vorschläge, VW in eine Unternehmensträgerstiftung zu transformieren. Leider kam es anders und die mögliche Reformwirkung kam nie zum tragen.
  • Eine ähnliche, vielleicht nochmals größere Chance gab es nach der Wiedervereinigung bei der Transformation der ehemaligen Volkseigenen Betriebe (VEB). Vermutlich nicht in allen aber in vielen Fällen hätte es sinnvoll sein können, diese VEB in Stiftungsunternehmen zu überführen – als dritter Weg zwischen Volks- und Privateigentum. Vielleicht hätte dadurch die heute vorliegende wirtschaftliche Misere der neuen Bundesländer abgewendet werden können.

Im dritten und vierten Kapitel präsentiert Frühbrodt schließlich zwei ausführliche Fallbeispiele, die in je unterschiedlicher Weise das Konzept des Stiftungsunternehmens verwirklicht haben. Mehr möchte ich hier nicht verraten. Die Beispiele sind äußerst lohnenswert und sind eine hervorragende Inspirationsquelle, wie Stiftungsunternehmen sozial, ökologisch und wirtschaftlich erfolgreich entwickelt und geführt werden können. Im letzten Kapitel vergleicht Frühbrodt die beiden Fallbeispiele, analysiert deren jeweilige Stärken und Schwächen und destilliert daraus das ideale Stiftungsunternehmen. Sein Schluss ist ebenso überzeugend wie anregend: Wirtschaftsdemokratie ist möglich.

Fazit: Ein unscheinbares, aber wunderbares Buch für all jene, die über die Gestaltung ihres Unternehmens entscheiden können. Insbesondere für Gründer, Inhaber und Erben bei einer Nachfolgeregelung ein echter Schatz.

 

Herzliche Grüße

Andreas Zeuch

 

Frühbrodt, L. (2014): Das soziale Stiftungsunternehmen. Eine wirtschaftspolitische Alternative. Königshausen & Neumann. Broschiert, 106 Seiten.

* Hier die zwei Artikel:

  • Frühbrodt, L. (2014): Das soziale Stiftungsunternehmen. Modell für eine reformierte Wirtschaftsordnung. Gegenblende, Januar/Februar 2014
  • Frühbrodt, L. (2013): Das demokratische Unternehmen. www.zweite-aufklaerung.de

 

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  1. […] Jahr! Zur Inspiration habe ich gleich meine erste neue Buchrezension 2015 veröffentlicht: “Das soziale Stiftungsunternehmen” von Lutz Frühbrodt. Es ist ein kleines aber feines Buch, schnell zu lesen und voll mit […]

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