Was würdest Du tun?

Mittlerweile ist es angekommen in der Mitte der Gesellschaft: Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wird nicht nur von Weltverbesserern, Aktivisten und alternativen Unternehmern diskutiert sondern von allen möglichen Menschen. Mittlerweile gibt oder gab es die ersten halbwegs ernsthaften staatlichen Experimente dazu, wie in Finnland, Kanada oder Kenia. Und vor 10 Jahren kannte nur jeder Dritte das BGE, heute findet rund die Hälfte der Menschen in Deutschland die Einführung eines BGE wünschenswert. Da kommt der Bericht aus der privat organisierten Initiative „Mein Grundeinkommen“ genau zur richtigen Zeit. „Was würdest Du tun“ fällt glücklicherweise auf einen fruchtbaren Boden und findet viele Leser*innen. Zeit für eine Rezension.

Dieses Buch ist eine kleine Offenbarung. Es ermöglicht einen Blick in Tiefen und Untiefen einiger Menschen, die in den Genuss eines verlosten bedingungslosen Grundeinkommens gekommen sind. Es bietet keine repräsentative Studienergebnisse, dafür umso mehr spannende und inspirierende Berichte und Reflexionen über die Reaktionen der BGE-Gewinner*innen und welche Wirkung das BGE in der Laufzeit von 12 Monaten und darüber hinaus entfaltete. Soviel schon vor dem Fazit am Ende meiner Rezension: Es ist ein Buch für jedermann und jederfrau, denn es betrifft uns alle. Egal ob Befürworterin, Skeptiker oder Gegner*innen. Aber der Reihe nach!

Bedingungsloses Grundeinkommen: Der Verein

Was würdest Du tunMichael Bohmeyer, einer der beiden Autor*innen, machte zunächst mal selbst ohne ein offizielles BGE die Erfahrung eines bedingungslosen Grundeinkommens.  Ab Januar 2014 musste er nicht mehr arbeiten und finanzierte sich durch die nicht üppigen aber ausreichenden Gewinne seiner letzten Firma. Und er stellt an sich selbst fest: „Es ist gar nicht so leicht, „nichts“ zu tun.“ (Kindle Edition, Pos. 107). So bastelte er sich eine Todo-Liste und arbeitete sie ab. Dann folgte der nächste Schritt: Er klärte für sich, „was er im Leben wirklich will.“ (Pos. 126) Im Rahmen dieser neuen Freiheit bei gleichzeitiger Sicherheit, Attribute, die selten zusammenkommen und sich eher gegenseitig ausschließen, entstand die Frage, wie es wohl anderen gehen würde, wenn sie in den Genuss dieses Dreamteams kämen.

Nach einigem Hin und Her, verschiedenen erfolglosen Versuchen, mit bestehenden BGE Initiativen und Netzwerken und anderen Gruppierungen wie dem Sozialforum der Piratenpartei in einen konstruktiven Austausch zu kommen, kam es im Juni 2014 zu einer Crowdfunding Kampagne auf Startnext: „Sobald 12.000 Euro gesammelt wären, sollte das Geld als Grundeinkommen verlost werden.“ (Pos 145). Die rechtskonforme Abwicklung der monatlichen Zahlung von € 1000 wurde durch einen eigens gegründeten kleinen Verein sichergestellt. Mit ein bisschen Glück über viral gegangene Presseberichte dauerte es nur drei Wochen, bis das erste Grundeinkommen beieinander war.

Zum Ende der Kampagne Mitte September gab es vier BGEs zu verlosen. 35.000 Menschen hatten teilgenommen und es gab tatsächlich mehr Spender*innen als Verlosungsteilnehmer*innen. Und selbst nach dem Ende der Kampagne wurde weiter gespendet. Das führte zum Auf- und Ausbau der Infrastruktur: Der Verein wurde als gemeinnütziger Verein eingetragen, die Website wurde für deutlich größere Besucherzahlen professionalisiert, ein Team zur professionellen Bearbeitung aller anfallenden Aufgaben wurde aufgebaut und so weiter und so fort. Das alles führte zu beeindruckenden Ergebnissen:

  • Ende 2018 gab es bereits 200 verloste BGE
  • Ende 2019 werden 350 verloste BGE erwartet
  • Es gibt rund 70.000 (!) Dauerspender von 1 – 420 € monatlich
  • Jeden Monat werden mittlerweile 12 BGE verlost

Damit schuf das Team ein Reallabor, das äußerst interessante Erkenntnisse zu Tage fördert. Was aus meiner Sicht genau an dem lag, was das Team selbst als einen Aspekt ihres Erfolgs vermuten: Sie selbst hatten Fragen und Zweifel, waren nicht angetreten, um möglichst viele Menschen vom BGE zu überzeugen, sondern suchten Antworten. Ihnen war die ganze Zeit klar, dass € 1000,- monatlich in Deutschland als Grundeinkommen nicht ausreichend sind, dass eine Laufzeit von 12 Monaten kurz ist, dass € 1000,- beim „echten“ BGE ein grundsätzliches aber kein zusätzliches Grundeinkommen sind und schließlich, dass ein paar ausgeloste Empfänger keine repräsentative Stichprobe ergeben. Und doch: Die im Buch erzählten Geschichten von 24 Menschen sind erhellend. Und verdammt wichtig.

Bedingungsloses Grundeinkommen: Erkenntnisse

Klar, 24 Interviewpartner*innen von bis dahin rund 200 Gewinner*innen sind nicht repräsentativ. Es sind rund 10% einer Grundgesamtheit, von der wir schon nicht wissen, ob sie ihrerseits Verallgemeinerungen auf die Bevölkerung zulässt. Nichtsdestotrotz hatte das Team und die beiden Autor*innen eine kluge, sehr heterogene Mischung von Teilnehmer*innen ausgesucht: Das Alter reichte von 2 (ja, auch Kinder können gewinnen) bis 67. Die beruflichen Ausbildungen und Situationen waren sehr unterschiedlich, von gut aufgestellt bis verzweifelt in Hartz IV, wohlhabend bis obdachlos, Singles, Paare, Familien, alleinerziehende Mütter etc. Insofern erscheinen die Erkenntnisse aus den Gesprächen auch ohne wissenschaftlich belegte Repräsentativität durchaus ernstzunehmende Hinweise zu sein, wie Menschen im allgemeinen auf ein BGE reagieren würden.

Die glücklichen Gewinner*innen taten mit dem Geld das, was man mit Geld machen kann:

  • Konsumieren
  • Sparen
  • Investieren
  • Weitergeben

Soweit, so zu erwarten. Interessant ist indes, das auch hinter scheinbar verschwenderischem Konsum Motive sichtbar werden, die diesen nicht nur verständlich machen, sondern sogar als sinnvoll erscheinen lassen. Dass Sparen und Investieren in einer monetär organisierten Gesellschaft als sinnvoll angesehen werden, muss ich hier nicht weiter ausführen. Dass hingegen auch die, die zuvor (sehr) wenig hatten, ihren Gewinn in Teilen weitergaben, ist schon aufschlussreicher. Ein erster Hinweis, dass das BGE keineswegs in eine egoistische Individualisierung führt, sondern stattdessen den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern könnte:

„Alle haben Lust, Teil von etwas Größerem zu sein. Alle haben Lust auf Gesellschaft. Wir haben von keinem und keiner gehört, dass er oder sie sich zurückzieht.“ (Pos. 3526)

Im dritten Teil „Gesellschaft, Geld und Gefühle“ untersucht das Team zunächst „Angst, Mangel und Entspannung“. Schnell wird klar: „Mangel haben irgendwie alle“ (Pos. 1195), keineswegs nur die, die überhaupt kein Vermögen und auch gerade keinen Job haben. Viola, ein der Gewinnerinnen bringt es gut auf den Punkt: „Aus dem Bedingungslosen Grundeinkommen entsteht eine Freiheit, nicht abhängig zu sein und auch nicht Rechenschaft geben zu müssen. Das ist absolute Freiheit. Daran mangelt es den Menschen.“ (ebnd.) Denn irgendwie werden wir alle immer geprüft, ob es legitim ist dies oder das zu haben oder zu sein. Das Entscheidende am BGE ist das Adjektiv: bedingungslos. Insofern wäre das BGE der monetäre Ausdruck von Artikel 3 unseres Grundgesetzes, dass wir alle vor dem Gesetz gleich sind.

„Der größte Fehler wäre es zu glauben, dass es unseren Gewinnerinnen und Gewinnern besser geht, weil sie tausend Euro mehr hatten.“ (Pos. 3601)

Im Kapitel „Spass, Schuld(en) und (Ohn)Macht“ wird der Staat als Gönner oder Gegner beleuchtet. Sichtbar wird dabei ein Teil der bürokratischen Hölle Hartz IV. So ist beispielsweise infolge des Losprinzips das zufällig verteilte BGE steuerrechtlich kein Einkommen, kann ohne Abzüge behalten werden und muss nicht einmal dem Finanzamt gemeldet werden. Aber – oh Wunder – sobald jemand Hartz IV bezieht, ist dasselbe Geld plötzlich doch ein Einkommen und wird mit den staatlichen Zahlungen verrechnet. Gewonnen hat also der Staat und nicht die etwaigen Gewinner*innen. Das ist selbst dann der Fall, wenn das Kind von Hartz IV Empfängern ein BGE gewinnt. Dies sind Momente, wo ich so manchen Ruf nach weniger Staat anfange zu teilen. Einerseits unterstützt der Staat zwar seine Bürger*innen, aber nur, um mit dem bürokratischen Arsch das mühevoll aufgebaute wieder einzureißen.

Leider führt auch das nächste Kapitel „Zuckerbrot und Peitsche. Der Subtext zwischen Staat und Bürger ist voller Gewalt“ nicht gerade dazu, unsere aktuelle staatliche Situation wirklich befriedigend zu finden. Bohnemeyer und Cornelsen verweisen in diesem Zusammenhang auf einen alten Artikel von Ralf Dahrendorf: „Arbeit erleichtere soziale Kontrolle. Wenn Menschen den größten Teil des Tages in der Disziplin der Arbeit verbrächten, kämen sie nicht auf dumme Ideen:“ (Pos. 1691) Diese Grundhaltung ist bis heute zu beobachten, gerade dann, wenn Skeptiker oder Gegner des BGE auf der Basis eines misanthropen Menschenbilds behaupten, das BGE führe zu Müßiggang und Schmarotzerei. Deshalb lautet der staatliche Slogan im Kontext des Arbeitsmarktes auch „fordern und fördern“ – in dieser Reihenfolge und nicht umgekehrt. Verstaatlichte Misanthropie.

Die Reise durch die Welt des verlosten BGE und durch Deutschland zu den Gewinnern führt im vierten Teil zu Beschreibung „Das Grundeinkommensgefühl“. Sechs Facetten werden sichtbar und Stück für Stück erläutert und reflektiert:

  • Zutrauen
  • Freiheit von…
  • Freiheit zu…
  • Selbstfürsorge
  • Tatendrang
  • Gemeinschaftsgefühl

Durch den Gewinn des zwölfmonatigen BGE entstand bei den Gesprächspartner*innen teils seit langem wieder Zutrauen in sich selbst und das Leben, sie konnten sich von manchem befreien und hatten plötzlich die Freiheit für etwas, wovon sie schon lange träumten, etwas was sie wirklich (wirklich) wollen, gerade auch beruflich, sie sorgten für sich selbst (manche mehr, manche weniger), entdeckten eben doch Tatendrang und entwickelten ein teils erstaunliches Gemeinschaftsgefühl. Bezeichnend für Letztes war vor allem eins: Alle, wirklich alle Interviewten, würde das BGE wirklich bedingungslos an alle auszahlen, egal ob Junkie, Straftäter oder Millionär. Denn genau das ist das Entscheidende. Wenn alle dasselbe bekommen, können sie eben auch beginnen, allen anderen wieder etwas zu gönnen. Ohne Neid und Missgunst. Infolge dieser positiven Melange entstand etwas, dessen Wert kaum zu überschätzen ist:

„Das Bedingungslose Grundeinkommen scheint unseren Gewinnerinnen und Gewinnern die nötige Kraft und Rückendeckung zu geben, um empathisch mit sich selbst und damit auch empathisch mit anderen sein zu können. Sie müssen also nicht mehr egoistisch sein, sondern haben die nötige Voraussetzung, um mit dieser neuen komplexen Welt umzugehen.“ (Post. 3400)

Vielleicht steckt im BGE sogar ein Puzzleteil, um den destruktiven Rechtsruck langsam aufzulösen. Wem ohne Prüfung gegönnt wird, wer tatsächlich gemäß Artikel 3 wie alle gleich behandelt wird, wer zumindest für den allerorts größten Posten der Miete nicht mehr für ausbeuterische Arbeitgeber malochen muss, der kann aufhören zu hassen und andere für etwas zu beschuldigen, für das sie nachweislich nichts können.

„Das Bedingungslose Grundeinkommen transformiert den Wesenskern eines zutiefst antisozialen Denkens in unserer krisenhaften Welt und bestärkt uns darin, die Verhältnisse statt uns gegenseitig infrage zu stellen.“ (Pos. 3430)

Ach ja: Falls jemand erwartet, in diesem Buch ausführlich vorgerechnet zu bekommen, wie das Ganze denn nun finanzierbar sei, der muss sich anderswo kundig machen. Unabhängig davon, dass es verschiedene Finanzierungsmodelle gibt, die alle ihre Vor- und Nachteile haben, so geht es doch letztlich um etwas ganz anderes. Wenn wir zum Mond fliegen können und uns längst auf den Weg zum Mars gemacht haben, ist die Finanzierung nicht die entscheidende Frage:

„Wir müssen nicht darüber reden, ob wir uns ein Grundeinkommen leisten können. Wir müssen darüber reden, ob wir uns Bedingungslosigkeit leisten wollen!“ (Pos. 3611)

Dem stimme ich vollumfänglich zu. Nicht nur nach der Lektüre. Ich für meinen Teil bin auf meiner Reise zu demokratischen Unternehmen („Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten“) zum selben Ergebnis gekommen. Ich hatte seinerzeit für alle Zahlenjunkies im ersten Kapitel noch ein bisschen gerechnet. Hatte dann aber klargestellt, dass wir uns über meine Berechnungen bis zum Sankt Nimmerleinstag streiten können. Viel wichtiger aber ist dies:

„In welcher Welt wollen wir leben?“ (Zeuch, A. (2015): Alle Macht für niemand)

Fazit: Ein Buch für alle, die lesen können. Für alle Wohlwollenden: Sie werden bestärkt. Für alle Skeptiker: Sie können ihre Zweifel neu bedenken. Für alle Gegner: Sie können in den Spiegel schauen.

 

Herzliche Grüße

Andreas

 

Bohnemeyer, M.; Cornelsen, C. (2019): Was würdest Du tun? Wie uns das bedingungslose Grundeinkommen verändert – Antworten aus der Praxis. Econ

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