Arbeit. Die schönste Nebensache der Welt

Neue Arbeit – schon mal gehört, oder? Flexible Arbeitszeiten, manchmal auch als Vertrauensarbeitszeit auf Tour, freie Arbeitsplatzwahl, also vor allem im grad angesagten Cafe das neue Webdesign bei einem Spiced Pumpkin Latte erstellen, die Chefs wählen (ja, sogar den CEO (wobei nicht klar ist, warum der noch Chief Executive OFFICER heißt)), zum informellen Kreativitätsschub ab und an an den Unternehmensbilliardtisch (Ne, Kicker war gestern und ist überhaupt nur ein blödes Vorurteil), und – gaaaanz wichtig: all die die unfassbar leckeren und gesunden Smoothies im Kühlschrank, mit denen sich jeder eine unanständige Überdosis Vitamine und freie Radikalfänger einfahren kann und die Krankenkasse glücklich macht. Geil, das mit der Neuen Arbeit, oder? Wenn Du das weiter für der Weisheit letzten Schluss halten möchtest, solltest Du jetzt nicht auf „Weiterlesen“ klicken!

 

#vaeth_arbeit (Page 1)Ja, vielleicht mag all das eine von vielen Varianten Neuer Arbeit sein. Allerdings räumt Markus Väth gründlich auf mit derartigen Verkürzungen, die das sehr viel umfassendere Konzept auf Unternehmenshochglanzbroschürenniveau runter dummen. Denn Neue Arbeit ist alles andere als ein unpräziser Begriff, beliebig in jede gerade genehme Form knetbar wie Plastilin. Und deshalb trifft Markus oftmals süffisante Kritik an selbsternannten New-Work-Evangelisten (ein lustiges Oxymoron, nebenbei bemerkt) ins Schwarze. Treffer versenkt.

Die Reise beginnt mit dem ersten Schritt der Bestandsaufnahme unserer Arbeitswelt. Globalisierung, Digitalisierung, Subjektivierung und Emanzipation bringen unser Leben ziemlich aus dem Gleichgewicht. Dahin ist sie, die Work-Life-Balance, sollte es sie je gegeben haben. Unser (Arbeits)Leben wird komplexer und dynamischer, wirtschaftlich-geografische und kommunikative Grenzen lösen sich auf, unserem Ich droht die Zerreibung zwischen hohen Idealen professioneller Selbstverwirklichung einerseits und subtilen New-Work-Ausbeutungstechnologien andererseits, während zudem bisherige Modelle der Arbeitszeit und Vereinbarung von Familie und Beruf pulverisiert werden. Das ist der Nährboden für die Geburt der Neuen Arbeit.

Auftritt Friethjof Bergmann: Der Erfinder der Neuen Arbeit ist selbst ein herausragendes Beispiel für eine berufliche Entwicklung, die prototypisch für das neue Arbeitsverständnis ist. 1930 in Sachsen geboren, zog es ihn 1949 in die USA, wo er eine an Vielfalt nur schwer überbietbare Karriere hinlegte: Tellerwäscher, Preisboxer, Fließband- und Hafenarbeiter und natürlich noch Theaterautor. Aber damit nicht genug. Er zog sich für zwei Jahre zurück von der Zivilisation und versorgte sich selbst, um später nach seiner philosophischen Promotion Lehraufträgen der Universitäten Berkeley, Chicago, Princeton und Stanford nachzugehen. 1958 fand er dann seine akademische Heimat an der Universität von Michigan und übernahm dort den Lehrstuhl für Philosophie und später noch Anthropologie. 1984 schließlich gründete er das Zentrum für Neue Arbeit in Flint, Michigan.

Bergmann konzeptualisierte „Neue Arbeit“ über drei Dimensionen, von denen zwei glatt in der öffentlichen Debatte meistens vergessen oder ignoriert werden:

  • Reduktion der klassischen Erwerbsarbeit
  • High-Tech Subsistenzwirtschaft
  • Calling: Arbeit finden, die wir „wirklich, wirklich wollen“

Heute reden die meisten nur über die dritte Dimension. Die Berufung, die professionelle Selbstverwirklichung. Dabei sind die anderen beiden Dimensionen genauso wichtig und schaffen erst gemeinsam ein ausbalanciertes Konzept, das nicht von Anfang an mit einer gehörigen Schlagseite zum Untergang verdammt ist. Genau das stellt Markus gründlich und mit Nachdruck klar. Es braucht mehr, als nur unsere Arbeit partizipativer, demokratischer, mithin: selbstorganisierter zu gestalten:

  • Echte Wahlfreiheit auch in der Arbeitswelt„(Väth 2016: 60) – das ist der Aspekt, der momentan immer wieder thematisiert wird: Die Transformation der Arbeit hin zu selbstbestimmter Tätigkeit.
  • New Work als bestmögliche Arbeitsform“ (ebnd.) – die Einbindung Arbeitstätigen in die Gestaltung und Führung der Organisationen ist kein „Sahnehäubchen“, kein nettes Nice-To-Have, keine Schönwetterdemokratie, sondern die „zwingende Weiterentwicklung der menschlichen Zusammenarbeit.“ (ebnd.)
  • Veränderung des kapitalistischen Wirtschaftssystems.“ (ebnd.) – New Work bedeutet nicht, den Kapitalismus abschaffen zu wollen, zurück zu sozialistischen oder kommunistischen Entwürfen, die bekanntermaßen in ihrer realen Form gescheitert sind. Es geht unter anderem um eine Transformation maximalen Konsums zu einer minimalen Variante (und darin gibt es große Ähnlichkeiten zum Entwurf von Niko Paech und seinem Buch „Befreiung vom Überfluss„)
  • Rückbau der Lohnarbeit“ (a.a.O.: 61) – was natürlich einhergeht mit der Transformation der Arbeit einerseits, deren Verknüpfung zum Calling (Arbeit, die wir „wirklich, wirklich wollen“) und der High-Tech-Subsistenzwirtschaft, die ja allmählich realisierbarer wird, Stichwort 3D-Drucker.

Väth, MarkusMarkus stellt zu unmissverständlich klar, dass nicht einfach nur darum geht, als arbeitende Menschen selbstbestimmter zu werden, „sondern um eine grundlegende Auseinandersetzung mit der ethischen, zeitlichen und funtkionalen Bedeutung von Arbeit in unserer Gesellschaft.“ (a.a.O.: 63). Es geht um eine weitflächige Reflexion und Veränderung eines über Jahrhunderte gewachsenen  Verständnisses von Arbeit: Müßiggang ist aller Laster Anfang; wer rastet, der rostet; Ora et labora; Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen und so weiter und so fort. Markus Erinnert zur Kontrastierung an Hannah Arendt und ihre Frage, was aus einer Arbeitsgesellschaft wird, die nichts mehr kann außer Arbeit? Ergo hinterfragt New Work nicht nur, wie wir unsere Arbeit verbessern können, sondern reflektiert auch das „Verhältnis von Arbeit und Nicht-Arbeit“.

Zu all dem kommt Arbeit als entgrenzte Erfahrung hinzu, und zwar in verschiedenen Dimensionen:

  • Zeit – ehedem natürliche und relativ fixe Rhythmen lösen sich auf, Arbeit und Nicht-Arbeit sind keine zeitlich klar trennbaren Lebenssphären.
  • Ort – durch die Digitalisierung arbeiten wir immer mehr von allen möglichen, nicht eindeutig definierten Orten aus.
  • Technik – wir kommunizieren über immer mehr technische Kanäle und müssten zudem nach der Mensch-Mensch und Mensch-Maschine-Kommunikation zukünftig auch noch die Kommunikation von Maschinen untereinander und mit uns integrieren.
  • Fachwissen – es ist schon fast wieder ein alter Hut, das lebenslange Lernen, aber keineswegs wieder obsolet.
  • Motivation – Arbeit (und vor allem auch: die Ökonomie an sich, AZ) wird motivational immer bestimmender, was sich eben auch an der zeitlichen und örtlichen Entgrenzung zeigt.
  • Sozial – das Team und der soziale Kontext in der Arbeit von heute kann morgen ganz anders sein. Durch die örtliche Entgrenzung arbeiten wir zudem auch sozial entgrenzter in Form virtueller Teams.

All dem zu Folge gibt es einiges zu tun, wenn wir unsere Arbeit nachhaltig nicht nur neu denken, sondern auch verändern wollen. So wie es natürlich immer eine Aufgabe für uns selbst ist, herauszufinden, was wir wirklich, wirklich wollen, was wir davon können („Kompetenzen für die Arbeitswelt von morgen“, S. 169-191) und das dann auch umzusetzen, so gibt es auch einige Aufgaben und Möglichkeiten auf organisationaler und gesellschaftlich-politischer Ebene. (Non-Profit)Organisationen haben verschiedene Möglichkeiten, die zugleich auch die damit klar umrissenen Aufgabenfelder sind:

  • Flexibilisierung der Arbeit – weg von den räumlich und zeitlich starren Strukturen, hin zu einem organischeren Strukturieren der Arbeit. Aber Cave: „Flexibilisierung ist nicht trivial“, stellt Markus klar. Zu Recht, denn dieses Instrument kann wie jedes andere auch natürlich selbst bei guter Absicht Kollateralschäden erzeugen.
  • Training der INSEL-Fähigkeiten – sprich: Informativität („dynamische Auseinandersetzung mit Wissen und Information in jeder Form“, S. 183), Netzkompetenz (die informell-temporäre „Interaktion in heterogenen Gruppen“, S. 184), Selbstorganisation (Selbstmanagement und organisationale Tätigkeit, die noch zu fachlicher Arbeit hinzukommt), Ethos (die „sittliche Verfasstheit“, die sowohl die Arbeitsmotivation bestimmt als auch die Passung zur jeweiligen Organisaitonskultur) und letztlich Leadership (denn in New-Work Organisationen wechselt der Staffelstab der Führung mehr als in festen formal-fixierten Hierarchien)
  • Coachingprogramme für Führungskräfte – schließlich beginnen nicht alle Organisationen auf der grünen Wiese, sondern sind in Veränderungsprozessen oder stehen davor. Und diesem Rahmen kommt den bis dahin vorhandenen Führungskräften eine wichtige Bedeutung zu: Welche Sicht haben diese Menschen von sich selbst, was sind ihre Werte, welche Perspektiven haben sie im Rahmen Neuer Arbeit, wie steht es um ihr Vertrauen, Ihre Hoffnungen, Erwartungen, Sorgen und Ängste?
  • Revision des Recruitings – die bisher immer noch häufig anzutreffenden überalterten Vorgehensweisen und das damit verbundene Selbstverständnis der Arbeitgeber bedarf einer Überarbeitung. Ich möchte anmerken: Dazu gehört auch, was Markus nicht erwähnte, die Delegation der Verantwortung für die Feststellung des Personalbedarfs, das Recruiting bis hin zur Entlassung an die jeweiligen Gruppen, Teams oder Abteilungen, so wie ich das auch in meinem Blogpost „Personalauswahl. Eine Frage der Passung“ kurz skizziert habe.
  • Investition in digitale Infrastruktur – immer noch gibt es genügend Organisationen, die nicht dafür sorgen, dass die digitalen Werkzeuge optimal auf ihre Bedürfnisse und die der Belegschaft hin ausgesucht und eingesetzt werden. Ein passendes internes soziales Netzwerk ist keine hinreichende Bedingung für Neue Arbeit, kann sie aber durchaus unterstützen und beflügeln.
  • New-Work-Labs – Gerade größere Organisationen bis hin zu Konzernen können in ersten kleinen Einheiten mit neuen Formen der Arbeit zu experimentieren beginnen, erste Erfahrungen sammeln und sie dann möglichst klug auswerten. Glücklicherweise weiß ich von mehreren Konzernen, dass dies langsam Einzug hält und erste Experimente laufen.

Letztlich macht Markus das ganz große Fass auf und beschreibt Neue Arbeit zumindest kurz auch als gesellschaftliche und politische Aufgabe. Wir sollten uns gemeinsam Gedanken machen über einen New-Work-Deal. Der umfasst mehrere dringend nötige Erneuerungen, Anpassungen, Überarbeitungen des Status Quo: Das Betriebsverfassungsgesetz, Arbeitsschutzgesetz oder das Allgemeine Gleichstellungsgesetz. Wichtiger ist vielleicht noch die dahinterliegende grundlegende gedankliche Gegenüberstellung von Arbeitgeber und -nehmer. Allerdings verweist Markus an der Stelle nicht auf die ebenso nötige Überarbeitung unseres Gesellschafts- und möglicherweise Eigentumsrechts. Schließlich bedarf der Ausbau der Partizipation und Mitarbeiterrechte auch das Pendant der entsprechenden Pflichten, Haftungsrisiken etc. Darüber hinaus verweist Markus auf eine gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung der Familien- und Bürgerarbeit und die noch zu entwickelnde Durchlässigkeit zwischen bisheriger Nicht-Erwerbsarbeit und Erwerbsarbeit. Drittens und letztens gehört zum New-Work-Deal auch die schon laufende Diskussion und Entwicklung eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Neben all dem, was Markus so überzeugend darstellt, gibt es ein paar Dinge, die ich kritisch sehe. Da wäre zuerst mal die nicht empirisch belegte einseitige Sicht auf die Demokratisierung der Arbeit unter dem Schlagwort „Unternehmensdemokratie“. Angeblich folge sie der „Maxime des Kapitalismus, dem Streben des Unternehmens nach Profit.“ (S. 130) Zweifelsohne ist das ein Risiko. Ich habe aber keine Organisation kennengelernt, bei der dies so zutrifft. Zweitens fehlen mir zwei zentrale Begriffe Neuer Arbeit: Intuition und Talente. Denn die oben zurecht angegebenen Kompetenzen sind in hohem Maße von der Meta-Kompetenz professioneller Intuition abhängig, wie ich schon in meinem Buch „Feel it! Soviel Intuition verträgt Ihr Unternehmen“ 2010 ausführlich gezeigt habe. Und wir sollten zukünftig die Reduktion auf amtlich verbriefte fachliche Qualifikationen um frei flottierendere, nicht formal beschreibbare Talente erweitern. Schließlich kann ich viel mehr, als meine Diplome bekunden. Aber nicht alles davon möchte ich beruflich nutzen. Genau deshalb gibt es Angebote zur Erkundung der eigenen Talente, die leider noch nicht breitflächig genutzt werden.

Fazit: Ein tolles und rundum lohnenswertes Buch für alle, die sich in irgendeiner Form mit Neuer Arbeit beschäftigen (wollen). Berufseinsteiger und -anfänger, (Senior) Professionals, die zu einem  New-Work-Arbeitgeber wechseln wollen oder an einem Wandel beim aktuellen Arbeitgeber mitwirken möchten, interne Organisationsentwickler, Berater, Lehrer und Politiker können dort sicher noch das eine oder andere mitnehmen.

 

Herzliche Grüße

Andreas

 

Väth, M. (2016): Arbeit. Die schönste Nebensache der Welt. Gabal, 256 Seiten, gebunden. € 24,90

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