Landgrabbing

Liebe Leserinnen und Leser!

Nach den letzten beiden tollen Büchern aus dem Antje Kunstmann Verlag, →“Wieviel ist genug“ und Arme Milliardäre“ stöberte ich im virtuellen Verlagsprospekt und stieß auf den Titel „Landgrabbing“. Ich hatte eine vage Ahnung, was sich dahinter verbirgt: Eine neo-kolonialistische Übervorteilung armer Länder und deren Bevölkerung sowie handfeste diverse Ökosauereien. Soweit lag ich richtig. Aber das Ausmaß war ein Uppercut in der ersten Runde. Ich bin schockiert und fassungslos. Ich musste mich neu sortieren, denn in Anbetracht dessen, was da zu guten Teilen an der Weltöffentlichkeit vorbei geschieht, erschien mir meine Arbeit fast bedeutungslos. Fred Pearce beleuchtet und enthüllt nicht weniger als den Ausverkauf unseres Planeten. 

„Scheichs vom Golf, chinesische Staatskonzerne, Spekulanten von der Wallstreet, russische Oligarchen, indische Mikrochip-Milliardäre, Weltuntergangsfatalisten, Missionare aus dem Mittelwesten und Hedgefonds-Manager aus der Londoner City, sie alle suchen den Globus nach billigem Grund und Boden ab, um ihre Landsleute zu ernähren, ihre eigenen Profite zu steigern oder um etwas für ihr gutes Gewissen zu tun. Flächen von der Größe kleiner Staaten wechseln zum Spottpreis die Besitzer. Wer aber sind die Käufer – und wem gehört das Land, das veräußert wird?“ So beginnt Fred Pearce sein Buch, für das er ein Jahr durch die Welt gereist ist, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Bereits diese ersten Zeilen verdeutlichen das Ausmaß der Komplexität globaler Landnahme, womit Pearce jegliche fragwürdige Inbesitznahme von Land durch „Ausländer oder andere Außenstehende“ meint, und zwar unabhängig davon, ob diese Aneignung legal ist oder nicht. 
 
Pearce ist weit davon entfernt, diese Landkäufe pauschal zu verurteilen. Da er in der Lage und Willens ist, verschiedene Perspektiven zu beleuchten und zu untersuchen, begab er sich auch zur Chicago Board of Trade, die 1848 für die Landwirtschaft des Mittleren Westens gegründet wurde und „bald zum weltweit führenden Handelshaus für Mais und andere Getreidearten wurde.“ Mehr noch: Dort wurden auch die Termingeschäfte erfunden, die heute einen gewichtigen Teil der Lebensmittelspekulationen ausmachen. Die Besucher dürfen dort für zwei Minuten eine bestimmte Ware handeln. Und genau das machte Pearce und startete einen kleinen Selbstversuch. Bereits innerhalb der kurzen Zeit wurde er in den Bann des Spekulierens gezogen, vergass, was sich hinter den Zahlenreihen und Nachrichtenmeldungen an realen Ereignissen und Schicksalen verbarg. Am Ende war er 180$ im Plus und fühlte sich „wie ein erfolgreicher Spekulant“. Immerhin würde dieses zunächst nicht so gewaltig erscheinende Ergebnis hypothetisch auf ein Jahr gerechnet fast 10,37 Millionen Dollar ergeben. Mit diesem kleinen Experiment wurde sofort deutlich, dass die Spekulanten, die nicht nur für zwei Minuten handeln, sondern dies täglich stundenlang machen, Woche für Woche, Monat für Monat, jahrelang, dass diese Menschen völlig entkoppelt von den Realitäten sind, die mit den Spekulationen zusammenhängen. Es ist also eine Umgebung, ein System, was es seinen Akteuren sehr leicht macht, die Folgen des eigenen Handelns auszublenden. 
 

Pearce erforscht weiter: Alle Landnahmen, meist zum Zwecke industrieller Landwirtschaft finden nicht nur deshalb statt, weil die investierenden Gesellschaften und Unternehmen über viel Geld verfügen und noch mehr gewinnen wollen. Sie werden zusätzlich durch die International Investment Agreements auf brutal unfaire Weise gegenüber der lokalen Bevölkerung ermöglicht: „Die IIAs haben den Zweck, Investoren zu schützen und haben kaum Regelungen, die einem Investor Pflichten auferlegen oder die Rechte von Staaten zum Ausdruck bringen und anerkennen, im öffentlichen Interesse regulierend einzugreifen. … Allgemein akzeptieren die Regierungen dieser Länder (…), dass sie Mittel zur Verfügung stellen, damit die Investoren tätig werden können – zum Beispiel den Zugang zu Wasser. … Dieses Recht kann zu einem Anspruch gemäß internationalem Recht werden, auch wenn es mit dem bestehenden oder zukünftigen Trinkwasserbedarf lokaler Gemeinschaften, der traditionellen Landwirtschaft auf kleineren Parzellen, der Kleinbetriebe oder der Subsistenzwirtschaft in Konflikt gerät.“ Dazu gesellt sich das ausbeuterische Recht, „den gesamten oder fast gesamten Ertrag zu exportieren.“ Faszinierend, dass gegen diesen neo-kolonialistischen, globalen Freibrief noch keine Aktivismus-Kampagne bekannt wurde. Wo ist hier Attac, Avaaz oder wie sie alle heißen?

 

Diese Frage nach berechtigten und dringend nötigen Aktivismus wird noch verschärft durch eine ziemlich unangenehme Verschmelzung von Politik und Wirtschaft. Das vielleicht scheußlichste Beispiel stammt aus Indonesien. Dort putschte sich Suharto ab 1965 an die Macht und war von 1968 an der offizielle diktatorische Präsident des Landes und hielt seine Stellung bis Mai 1998. Beim Massaker von Indonesion, 1965-1966, wurden verschiedenen Schätzungen zufolge zwischen 400.000 und einer Million Menschen ermordert. Zehn Jahre später erfolgte die völkerrechtswidrige Besetzung Osttimors, bei der weitere 200.000 Menschen zu Tode kamen. Zahlreiche Internierungslager und Prozesse mit Todesurteilen kamen hinzu. Suharto schuf in seiner blutigen Amtszeit die Grundlagen für die bis heute andauernde brutale Landnahme: Er erklärte die Waldgebiete der 1000 Inseln zu Staatswald, „der im Interesse der nationalen Entwicklung der Nutzung zugeführt werden sollte.“ Im Klartext bedeutete dies, „das jeder, der über Geld und Beziehungen verfügte, Land bekommen konnte.“ Völlig zweitrangig war, was mit den Waldbewohnern und der Natur passierte. Da scheint es doch ziemlich fragwürdig, dass unser Ex-Kanzler Helmut Kohl Suharto nach Deutschland einlud und selbst vier Mal nach Indonesien reiste und schließlich mit ihm freundschaftlich verbunden war. Kohl und Deutschland waren damit in sonderbarer Gesellschaft, denn Suharto hatte im Westen insgesamt einen erstaunlich guten Stand. Wo Geld fließt und die Wirtschaft boomt, scheinen Menschenleben und Umweltbewusstsein plötzlich zu überflüssigen oder gar hinderlichen Nebensächlichkeiten zu verkommen. 

 

Zwei Unternehmen, die von Suhartos Willkür seit geraumer Zeit profitieren sind die Asia Pulp and Paper (APP) sowie Asia Pacific Resources International (APRIL). „Zusammen haben die beiden Fabriken wahrscheinlich den weltweit höchsten industriellen Bedarf an Holz. Sie verschlingen jeweils etwa 10 Millionen Tonnen im Jahr, von denen ungefähr ein Drittel aus den natürlichen Regenwäldern Riaus stammt.“ Die beiden Unternehmen konkurrieren aufs Schärfste und so nimmt es nicht Wunder, dass sie über vom Staat unabhängige Straßennetze verfügen, um ihren 22achsigen Gigalinern den Weg frei zu machen. So transportieren sie täglich bis zu 22.000 Tonnen Holz zur Fabrik. APP hat seit Mitte der 1990er über eine Million Hektar Regenwald gerodet, APRIL kommt immerhin auf 800.000 Hektar. Zusätzlich wird das Wasser der Umgebung verschmutzt, Waldbewohner werden vertrieben und/oder als billige Arbeitskräfte ausgebeutet. Die Krönung ist die dreiste Selbstdarstellung der beiden Unternehmen auf deren Homepages. Dort gerieren sie sich als umweltbewusste und ethisch integre Unternehmen, denen die Zukunft unseres Planeten und der Menschen angeblich am Herzen läge.

 

Als ob all das nicht schon genug wäre, gesellt sich noch die Paradoxie grüner Landnahme hinzu. Aus vordergründig edlen Motiven werden schnell äußerst fragwürdige Aktivitäten einiger (Super-)Reicher. Doug Tompkins, Gründer und Leiter von North Face und Esprit und seine Frau Kris, einst CEO beim Öko-Outdoor Austatter Patagonia (→“Lass die Mitarbeiter surfen gehen„) sind mittlerweile die weltweit größten privaten Landnehmer aus scheinbar grünen Beweggründen heraus. Sie haben sensationelle 1.000.000 Hektar Land aufgekauft, vorwiegend in Patagonien, jenem fantastischen argentischem Gebiet, dass zunehmend mehr Naturbegeisterte fasziniert und anlockt (was ich gut verstehen kann, war ich doch selbst schon dort und hin und weg). Auf einer erstandenen Ranch „reduzieren sie den Viehbestand, reißen Zäune ein und geben das Land der Natur zurück.“ Fred Pearce fragt sich, ob das engagierter Naturschutz oder Landnahme sei. Die Frage ist nicht leicht zu beantworten.
Ein anderes, wesentlich dramatischeres Beispiel liefert der World Wildlife Fund, WWF, 1961 als weltweit erste Umweltschutzorganisation gegründet. Zu Beginn der 1980er umfassten vom WWF verwaltete und geplante Naturschutzgebiete über anderthalb Millionen Quadratkilometer, immerhin ein Prozent der weltweiten Landflächen. Zu den Förderern in den 1970ern zählten unter anderem der ugandische Präsident Idi Amin und so ist es nicht verwunderlich, dass das ursprüngliche harte Naturschutzkonzept von Natur als Festung gewaltsam mit Hilfe von Söldnern umgesetzt wurde, die ursprüngliche Bewohner der neuen Naturreservate vertrieben und Wilderer selbst zum Freiwild erklärten, jagten und erlegten. 

 

Fazit: Die globale Landnahme geht uns alle an. Jeden von uns, die oder der noch einen kleinen Funken kritischen Geistes in sich trägt. „Landgrabbing“ ist ein Meilenstein der Aufklärung auf dem Weg zu einer menschlichen Wirtschaft. 

 

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

 
 

Pearce, F. (2012): Landgrabbing. Der globale Kampf um Grund und Boden. Verlag Antje Kunstmann. Gebunden, Seiten. 

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