Postwachstumgsgesellschaft

Liebe Leserinnen und Leser1

Pünktlich zum letzten Werktag vor Weihnachten mein letzter Buchtipp für dieses Jahr. Es ist ein großartiger Sammelband rund um das Thema Postwachstumgsgesellschaft. Das Buch lag schon eine Weile bei mir herum, bevor ich mich aufraffen konnte, es zu lesen. Die Aufmachung hielt mich vor einer früheren Lektüre ab, das Buch wirkte trocken und wenig mitreißend – aber ich habe mich einmal mehr gründlich getäuscht. Nachdem ich den ersten Artikel „Unternehmen ohne Wachstumszwang: Zur Ökonomie der Gemeingüter“ von Gerhard Scherhorn gelesen hatte, war mein Widerstand überwunden und meine Begeisterung entfacht. Eine der großen Vorteile dieses Bandes liegt in seiner Natur als Herausgeberband: Er ist gefüllt von 21 Artikeln, einem Vorwort von Bundespräsident a.D. Horst Köhler und den abschließenden Thesen für eine Postwachstumsgesellschaft. Jeder Artikel ist zwischen 4 und 11 Seiten lang und damit prima in kurzer Zeit zu bewältigen. Und natürlich könnt Ihr einsteigen wo Ihr wollt, niemand muss erst 200 Seiten lesen, um von einem danach folgenden Artikel zu profitieren. Das schon mal als Teaser vorab.

Die Herausgeberinnen Irmi Seidl und Angelika Zahrndt haben Ihr Buch in vier Bereiche unterteilt: 1. Einblick, 2. Gesellschaftsbereiche, 3. Internationaler Blick und 4. den Ausblick, wobei der 2. Bereich zu den verschiedenen Gesellschaftsbereichen zumindest vom Umfang her den Kern des Buches bilden. Den beiden ist es gelungen, alle Artikel äußerst ausgewogen in Ihr Buch zu integrieren und damit das Lesen zu erleichtern. Ich möchte drei Artikel stellvertretend für den Band in dieser Buchbesprechung zur Illustration herausheben, und zwar in der Reihenfolge meines Leseflusses anstelle einer chronologischen Ordnung.

Als Unternehmensgründer und -berater hin zu einer menschlichen und damit auch erfolgreicheren Wirtschaft hat mich der bereits oben erwähnte Artikel von Gerhard Scherhorn zuerst angezogen: „Unternehmen ohne Wachstumszwang: Zur Ökonomie der Gemeingüter“. Scherhorn ist Professor für Konsumökonomik an der Universität Hohenheim und Senior Consultant am Wuppertal Institut für Klima Umwelt Energie. Er hat mir die Augen geöffnet für wichtige formal juristische Veränderungsmöglichkeiten, um Unternehmen ein Leben ohne Wachstumszwang durch ordnungspolitsche Rahmengebung zu erleichtern.

Der Kern seines Ansatzes liegt für mich in zwei Aspekten seiner Analyse: Erstens sind Manager von Kapitalgesellschaften rechtlich dazu aufgefordert, „sich allein den Shareholdern verantwortlich zu fühlen. … Unter diesen Bedingungen ist es in der Struktur des Unternehmens angelegt, dass die Manager dieser Gesellschaften den Vorteil des Unternehmens – und ihren eigenen – zulasten der Allgemeinheit verfolgen; die Kapitalgesellschaft ist dann in der Tat „die perfekte Externalisierungsmaschine“, die im Wettbewerb auch die kleinen und mittleren Unternehmen zur Externalisierung zwingt.“ (S. 137) Sprich: Ressourcenausbeutung, Umweltverschmutzung etc. muss nicht das Unternehmen sondern die Gemeinschaft tragen und zahlen.
Der zweite, dann für mich überraschende und neue Aspekt: Das heutige Wettbewerbsrecht schützt auch diejenigen Unternehmen, die ihren Erfolg der Externalisierung von Kosten verdanken. Es ist lediglich am „freien Wettbewerb“ – der ja ohnedies illusionär ist, siehe Rettungsfallschirme für systemrelevante Banken etc. – orientiert. Scherhorn macht deutlich, dass es aber einen (tatsächlich) freien und nachhaltigen Wettbewerb schützen sollte. „Dazu müsste die Externalisierung von Kosten in die verbotenen Wettbewerbshandlungen nach §§ 3-4 des Gesetztes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) aufgenommen werden. … Ein durch Schädigung von Gemeingütern erreichter Preis- oder Qualitätsvorsprung ist in diesem Sinn nicht weniger unlauter, als z.B. Täuschung durch irreführende Werbung…“ (S. 138). Desweiteren schlägt Scherhorn vor, dass im Aktiengesetz neu niedergeschrieben werden sollte, dass ein „ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter“ (§ 93.1 AktG) „sich nicht nur für das Vermögen der Kaptialeigner, sondern gleichermaßen für die Erhaltung der Gemeingüter einzusetzen hat.“ (S. 140). Das sind intelligente und sinnvolle Ideen zur Verbesserung rechtlicher Wirtschaftssteuerung.

Der Diplom-Ökonom Thomas Jorberg widmet sich den „Finanzmärkte(n) und Aufgabe(n) der Banken“. Aus seiner Sicht stellt sich Frage nach einem Ordnungsrahmen nicht, „weil das marktwirtschaftliche System nicht leistungsfähig gewesen wäre, vielmehr, weil es so leistungsfähig war.“ (S. 145) Aufgrund seiner Leistungsfähigkeit ist die einstmals knappe Ressource Geld mittlerweile im Überfluss vorhanden, während unsere Natur zu dem immer begrenzenderen Faktor wurde. Er schlägt eine „Neuordnung der Finanzmärkte mit dem Fokus auf das eigentliche Bankgeschäft“ (S. 148) vor. Dazu unterteilt Jorberg die vorhandenen Leistungen des Finanzmarktes in drei Bereiche:

  1. Unmittelbar der Realwirtschaft dienende Produkte – das klassische Bankgeschäft zwischen Einleger und Kreditnehmer. Hier weist er noch – für mich überraschend – darauf hin, dass rund 90% aller Finanzmarktregelungen im Bereich der realwirtschaftlich sinnvollen Finanzdienstleistungen zu finden sind.
  2. Mittelbar der Realwirtschaft dienende Produkte – derivative Finanzinstrumente, die der Absicherung von Risiken dienen, die dem Finanzgeschäft zugrunde liegen.
  3. Nicht der Realwirtschaft dienende Produkte – Spekulationsgeschäfte, die nur dazu dienen, Geld mit Geld zu verdienen. „Gerade in diesem … Bereich hat es in den vergangenen zehn Jahren erhebliche Deregulierungen gegeben.“ (S. 149f).
Im nächsten Schritt macht er „Vorschläge für einen neuen Ordnungsrahmen für Finanzmärkte“, wobei der erste darin besteht, „unmittelbar der Realwirtschaft dienende Finanzdienstleistungen und -produkte so weit wie möglich zu deregulieren.“ (S. 150)
Die beiden Herausgeberinnen Irmi Seidl und Angelika Zahrnt eröffnen Ihren Band mit dem Artikel „Argumente für einen Abschied vom Paradigma des Wirtschaftswachstums“. Dieser Beitrag ist ein äußerst kompakter und gut nachvollziehbarer Überblick über die Problematik des Wirtschaftswachstums und macht auf lediglich 11 Seiten klar, warum wir gar keine andere Chance haben, als uns vom Wachstumsparadigma zu verabschieden, sofern wir eine gesunde und friedliche Weltgesellschaft erreichen wollen. Besonders spannend ist dabei der Abschnitt 2.2, in dem die beiden äußerst stringent aufzeigen, dass die Hoffnungen vermittels Wachstum viele Probleme lösen zu können, nicht erfüllt wurden.
Fazit: Wer sich (noch) scheut, zu aufwändigeren Büchern über die Wachstumsproblematik zu greifen (→“Wohlstand ohne Wachstum„, „Gleichheit ist Glück“ oder „Faktor Mensch“) ist mit diesem Band bestens bedient. Die Beiträge sind schnell gelesen und auch völlig unabhängig voneinander zu verstehen. Darüber hinaus bietet es auch für schon versiertere Wachstumskritiker sicherlich neue Ideen, die die Lektüre lohnenswert machen.

Euch allen frohe Weihnachten, viel Zeit und Ruhe für Euch zwischen den Jahren, einen guten Rutsch und ein erfolgreiches Jahr 2013!

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

Seidl, I., Zahrnt, A. (2010): Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft. Metropolis Verlag, Paperback, 247 Seiten. 18,00€

5 Kommentare
  1. Frank Widmayer
    Frank Widmayer sagte:

    Lieber Andreas,
    besten Dank für den Hinweis auf das Buch! Ich habe mir das gleich besorgt und kann es dank vorhandener Kindle-Version auch sofort lesen. Und was ich auch besonders erwähnenswert finde, dass bei einem deutschen Buch endlich mal die Kindle-Ausgabe DEUTLICH günstiger ist als die gedruckte Version (9,99 statt 18,00).
    Dir auch frohe Weihnachten und einen guten Rutsch!

    Antworten
  2. Andreas Zeuch
    Andreas Zeuch sagte:

    Lieber Frank,

    schön von Dir zu lesen! Freut mich, dass Du Dir das Buch gleich bestellt hast. Und das mit der Kindle Version ist tatsächlich sehr erfreulich. Eine gute Information für die anderen Leser!

    Und: Danke für Deinen Weihnachtsgruß! Ich wünsch Dir jetzt erst mal fürchterlich profan an dieser Stelle schöne Weihnachten, eine ruhige Zeit zwischen den Jahren, einen guten Rutsch und ein tolles neues Jahr!

    Wenn Du magst, kontaktiere ich Dich Mitte/Ende Januar, um von der anstehenden Unternehmensgründung zu berichten.

    Herzliche Grüße
    Andreas

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  1. […] Positionen ohne Ausnahme der heiligen Kuh des Wirtschaftswachstums frönen und keine Alternativen sehen (und hier), so droht das Lohnarbeitssystem erstens regelmäßig damit, dass uns die Arbeit […]

  2. […] in Details ausführen (→Wieviel ist genug, →Gleichheit ist Glück, →Faktor Mensch, →Postwachstumsgesellschaft, →Haben oder Sein – und viele […]

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