Der größte Raubzug der Geschichte

Liebe Leserinnen und Leser!

Neulich öffnete ich morgens mein E-Mail Programm und habe eine interessante Nachricht im Eingang: Da berichtet ein Herr Marc Friedrich mir nichts, Dir nichts von seinem Buch, dass er mit seinem Kollegen Matthias Weik geschrieben hat. Und das es – ohne großes Marketingbudget – in diversen wichtigen Sachbuch-Bestsellerlisten ziemlich weit nach oben gekommen ist. Der Titel gefiel mir, denn eines ist klar: Das was in den letzten Jahren in der Finanzbranche geschehen ist und heute munter in pervers gesteigerter Form weiter exerziert wird, hat definitiv den Charakter eines Raubzugs.

Es ist schon eine bemerkenswerte Fleißarbeit, die die beiden da geleistet haben. In feinziselierter Akribie haben Sie eine enorme Menge an Fallbeispielen recherchiert, die den provokanten Titel durch alle Kapitel hindurch untermauern und rechtfertigen. Weik und Friedrich beginnen ganz grundlegend, indem sie erst einmal klären, wie Geld überhaupt entsteht. Wer das schon in Gänze verstanden hat, kann diese Seiten überspringen. Für viele, die noch betriebs- und volkswirtschaftlichen Nachholbedarf haben, ist dieser Einstieg jedoch äußerst lehr- und hilfreich. Denn schließlich beginnt hier der ganze Wahnsinn:

  1. Privatisierte Geldschöpfung
  2. Zinsen und Zinseszinsen

Nach diesem moderaten und vielen schon bekannten Problem geht es aber erst richtig los mit der Analyse der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise und damit dem größten Raubzug der Geschichte. All das beginnt nicht erst mit der amerikanischen Immobilienblase, sondern deutlich früher, leise, still und heimlich vor 15 Jahren in Delaware: „In besagter Stadt besuchen im Jahr 1998 Firmenanwälte der BayernLB eine US-Kanzlei. Der Grund hierfür: Delaware ist weltweit eines der größten Zentren für anonyme Briefkastenfirmen, also ein Steuerparadies, wie es im Buche steht. Anfang 2009 sollen laut Manager Magazin knapp fünf Billionen Dollar dort versteckt sein“ (S. 45). Und damit wurden die Pforten geöffnet für wilde Spekulationen und perverse Milliardenwetten. Denn „Der Trick mit den Zweckgesellschaften hat für die Bank oder besser gesagt für die Banker folgenden Vorteil: Er entlastet die Banken von ihrer aufsichtsrechtlichen Pflicht, für Risikogeschäfte genug Eigenkapitalpuffer bereitzuhalten. Dies bedeutet, dass sie außerhalb der Bilanz hohe Risiken eingehen, ohne ihr Eigenkapital zu erhöhen.“ (S. 46). Bingo. Willkommen im Land des Bankenirrsinns.

Ab hier geht es rein in den Sumpf der Verbrechen, egal ob juristisch anfechtbar und nur ethisch verurteilbar. Viele dieser Fakten sind aufgeklärten Bürgern zwar bekannt, aber es lohnt trotzdem, sie hier verdichtet und gut sortiert zu finden. Denn sicher ergibt sich die eine oder andere Diskussion, für die die hier gesammelten Fakten äußerst hilfreich sind. Gleichzeitig beschleicht mich das Gefühl, dass hier jeder fündig wird, oder zumindest die meisten von uns. Nur zwei Beispiele, die mir die Augen geöffnet haben und das Ausmaß unserer noch längst nicht überwundenen Krise verdeutlichen:

Weik und Friedrich im Interview
 
SoFFin – das Ende der Demokratie in Deutschland: Der Sonderfont Finanzmarktstabilsierung stützte 2009 unsere armen Banken, und natürlich besonders die „systemrelevanten“ Banken, die „to big to fail“ sind, mit 480 Milliarden Euro – oder sagen wir, um nicht um genaue Zahlen zu streiten: mit einer Menge staatlicher Gelder. Allein: Der Font ist einer demokratischen Kontrolle entzogen, denn das parlamentarische Kontrollgremium zur Bankenrettung hat keinerlei Entscheidungsbefugnisse. Noch besser: Die Mitglieder sind sogar zum Schweigen vergattert, dürfen nicht einmal mit Fraktionskollegen darüber reden. Allein der SoFFin entscheidet, und das heißt: „Das letzte Wort hat der Finanzminister. Parlament und Bevölkerung werden vor vollendete Tatsachen gestellt. Was genau mit dem Geld geschieht, ob die Hilfen mit Auflagen verbunden sind, ob geprüft wurde, ob die Banken selbst über Mittel verfügen oder ob die Banken weiter damit zocken, das erfahren sie nicht. Nur der kleine Unterausschuss des Bundestages wird über Details informiert. Aber er ist eben zum Schweigen vergattert.“ (S. 107) Ähnlich erhellend fand ich auch die Antwort auf folgende Frage:
 
Wo steht die größte Terminbörse für Finanzderivate? New York? London? Schanghai? Nein. EUREX steht in Frankfurt am Main. Wie schreiben Weik und Friedrich lapidar: „Seit der Finanzkrise fluchen Politiker zu Recht wegen der Derivate, und der größte Handelsplatz ist in Deutschland.“ (S. 185). Ja, das hat auch mich überrascht, denn ich hatte erst ein paar Tage zuvor zufällig über EUREX gelesen. Allerdings war mir da noch nicht klar, was genau sich dahinter verbirgt. Und ja, ich finde es unangenehm, dass eine solch zerstörerische Institution mit all den Zins- und Rohstoff-Derivaten und Kreditausfall-Swaps (CDOs) bei uns mitten in Deutschland steht. Das ist höchst interessant, dass das die meisten von uns nicht wissen. Für unsere Diskussion ist das nämlich nicht unerheblich.
 
Besonders pikant ist desweiteren die Tatsache, dass unsere Politik mittlerweile von der Finanzbranche unterwandert wird: Dazu muss man kein Verschwörungstheoretiker sein, sondern sich nur nüchtern ein paar Fakten anschauen: Einigen dürfte schon bekannt sein, dass der ehemalige amerikanische Finanzminister Henry Paulson zuvor CEO von Goldman Sachs war. Mir neu war, dass der italienische Premierminister Mario Monti Mitglied des Board of International Advisors bei demselben Finanzinstitut war. Was eindeutig heißt, den Bock zum Gärtner zu machen, schließlich hat Goldman Sachs „Griechenland geholfen, seine Zahlen vor dem EU-Beitritt unter Täuschung der europäischen Statistikbehörde Eurostat so zu präsentieren, dass das wahre Haushaltsdefizit erst nach der Aufnahme in die EU zum Augenschein kam.“ (S. 234). Das ist aber längst noch nicht alles: „mit … Mario Draghi als Vorsitzendem der Europäischen Zentralbank (EZB) hat bereits der zweite Goldman Sachs-Mann einen Schlüsselposten in Europa übernommen.“ (a.a.O.).
 
Ein paar Dinge sind fand ich schade, anderes fiel mir unangenehm auf: Bedauerlich ist, dass die beiden trotz ihrer absolut kritischen Sicht auf unser Wirtschaftssystem Einiges noch nicht klar darstellen: „Geld ist nicht Zweck, sondern Mittel der Wirtschaft, und Wirtschaft ist der Austausch von Gütern und Dienstleistungen.“ (S. 20). Das ist die typisch wirtschaftlich verkürzte Sichtweise. Wirtschaft ist viel mehr. Zum Beispiel dient Wirtschaft auch der Verwirklichung unserer Ideale und Träume, kurz: Wirtschaft ist eine gigantische Spielwiese zur Selbstverwirklichung. Und wenn wir dem nur äußerst eingeschränkt für Unternehmer und Top-Manager gerecht werden, zerstören wir die Motivation unserer Belegschaften. Nicht umsonst tauchen seit ein paar Monaten überall die Forderungen auf, dass Arbeit wieder sinnvoll sein soll. Wir Menschen haben eben ein Bedürfnis danach, unsere Zeit sinnvoll zu verbringen, auch im Beruf. Der soll für uns „Sinn machen“ – außer natürlich für die meisten (Investment-)Banker, denen reicht es, für ihre schwachsinnigen und desktruktiven Tätigkeiten fette Gehälter und noch fettere Boni einzustreichen. Damit wird dann das ansonsten eher ärmliche Ego gepimpt (und wer’s nicht glaubt: Lest doch einfach „Der größte Raubzug… :-).

Ein paar Seiten später bin ich über das amüsante Beispiel gestolpert, dass die beiden Autoren zur Illustration der Krisengenese 2007/2008 herangezogen haben: „Jimmys Kneipe – Party auf Kredit“. Ich kannte diese anarchisch-witzige Geschichte in einer Variation als Comic, das schon vor diesem Buch im Netz auftauchte (z.B. 2010: Blog schafft Wissen. Natürlich wurde diese geile Idee auch gleich verfilmt, siehe unten). Da erlebe ich die in Text gebrachte Kopie ohne Quellenhinweis als geklaut. Das hätte dem Buch nun wahrlich keinen Abbruch getan, auf die Quelle zu verweisen.

Kreditausfallinstrumente leicht erklärt

Sprachlich nervten mich manche überflüssigen Wiederholungen: „Nun aber der Reihe nach“, „Lassen wir uns überraschen“ oder „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“. Letztlich irritierte mich, dass allerorten ein „Ich“ etwas erklärte oder berichtete – wo doch zwei Autoren das Buch geschrieben haben. Ein „wir“ wäre passender gewesen. Aber das gleicht dem Schubbern der Wildsau an der Eiche…

Fazit: Ein Buch für alle, die sich fragen, ob es so weitergehen kann, mit unserer globalen Finanzbranche und unserer Wirtschaft. Ein Buch für alle, die nicht (mehr) damit einverstanden sind, dass wir all diejenigen von uns, die als Krankenschwestern, Pfleger, Sozial- oder Müllarbeiter und dergleichen mehr unsere Gesellschaft überhaupt aufrecht erhalten, mit unverschämten Hungerlöhnen abspeisen, während inkompetente, selbstgerechte und asoziale Banker und Manager Milliardenwerte vernichten und dafür noch Millionenabfindungen bekommen, nachdem sie schon jahrelang Gehälter in Millionenhöhe kassiert haben („Leistung muss sich lohnen“). Ein Buch für alle, die glauben, dass nur eine gerechte Gesellschaft eine stabile und gute Gesellschaft sein kann. Und das heißt: Kein Messen mit zweierlei Maß!

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

Weik, M. & Friedrich, M. (2012): Der größte Raubzug der Geschichte. Warum die Fleißigen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden. Tectum Verlag. Paperback, 382 Seiten.  19,90€

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  1. […] Kontakt auf und baten mich um eine Rezension Ihres damaligen Überraschungsbestsellers →”Der größte Raubzug der Geschichte“. Rund ein Jahr später meldeten sie sich zurück mit Ihrem neuen Buch. Der Titel sprach mich […]

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