Aldi – einfach billig

Liebe Leserin, lieber Leser!
Aldi kennt so ziemlich jeder. Es gibt viele Fans, einige Bewunderer und nicht allzuviele ernsthafte Kritiker. Jedem, der noch halbwegs denken kann, muss klar sein, dass billig seinen Preis hat. Und zwar sozial wie ökologisch. Vor allem aber, so scheint es, zahlen den Preis für die ach so tollen Tiefpreise die Mitarbeiter. Und nicht nur die “einfachen” an der Kasse, die zusätzlich durch die Filialen hetzen müssen, um Kartons wegzuräumen, Artikel nachzuladen oder leere Paletten rauszufahren; nein, es scheint auch Bereichsleiter ordentlich zu beuteln. Einer hat vor nicht allzulanger Zeit seinen persönlichen Leidensweg, den er natürlich selbst zu verantworten hat, in einem Buch dokumentiert: “Aldi – einfach billig. Ein ehemaliger Manager packt aus” von Andreas Straub.

Zwei Zitate entlarven die wahre Führungskultur von Aldi:

  • “Geschwindigkeitsbegrenzungen sind etwas für Minderleister.” (S. 822 (ich habe das Buch als E-Book bei Apple gekauft, daher die hohe Seitenzahl))
  • “Kötz, Sie sind ganz schön fett geworden. … Schauen Sie sich doch Ihren Ranzen an!” So ein Verkaufsleiter zu einem Filialleiter. (S. 203f)
Es herrscht allenthalben “krankes Wirtschaften”. Die gesamte Unternehmenskultur ist durchdrungen von Druck, paranoider Kontrolle, Mitarbeiter- und Kollegenmobbing und juristisch grenzwertigen Aktionen, um die Personalkosten so gut wie möglich zu drücken.
Gelockt werden neue Mitarbeiter und Führungskräfte durch überdurchschnittliche Löhne. Sobald der Vertrag unterschrieben ist, zeigt sich in kurzer Zeit das wahre Wesen der Mutter aller Discounter: Herrsch- und kontrollsüchtig, menschenverachtend, zwanghaft, ökonomisch irrational – Hauptsache, die Artikel können möglichst billig in den Markt gedrückt werden. Selbst leitende Angestellte mit dem Recht zur Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern stehen ganz schnell ebenfalls auf der Abschussliste ihrer Vorgesetzten. Von dem Spiel ausgenommen scheinen nur die obersten Manager auf der Ebene von Geschäftsführern, Einkaufs- und Verkaufsleitern.
Und so verkauft Aldi die Stelle zum Regionalverkaufsleiter

 

Besonders abstoßend: Die krankhafte emotionale Entkopplung der Führungskräfte von den Mitarbeitern. Erstens ist “Privater Kontakt zwischen den Mitarbeitern unterschiedlicher Hierarchieebenen … verboten. (S. 785). Zweitens wird nicht von “entlassen” gesprochen, sondern von “rausnehmen” (S. 209, 221, 296, 1013). Und dann wird auf Bereichsleiter- und höheren Ebenen damit geprahlt, wieviele Mitarbeiter man schon “rausgenommen” habe. Der erste Schritt zur Entlassung ist die Abmahnung. Und die werden derart hemmungslos verteilt, dass “Einige Kollegen … von den Verkaufsleitern bereits scherzhaft einen “Abreißblock” (verlangen).” (S. 508) Diese – im psychiatrischen Fachjargon – “Dissoziation” ist ein guter Trick, um sich selbst jahrelang vor etwaigen Zweifeln am System und eigenen Verhalten zu schützen. Es ist die Grundbedingung für brutales Handeln, dass sich regelmäßig bei Psychopathen zeigt und bereits in Deutschland schon einmal äußerst weitreichende Folgen nach sich zog, auch wenn es bei Aldi “nur” um die Zerstörung der Anstellung geht.
Selbst wenn die Details erschreckend sind, so kann man sich all das im Großen und Ganzen ohne das Buch ausmalen. Wirklich Neues fand ich am Ende: Die bisherige Nummer eins der deutschen Lebensmitteldiscounter infiziert durch Fluktuation leitender Angestellter in andere Discounter wie Kaufland, Lidl, Netto, Norma, Penny und Rewe deren Unternehmenskultur:  ”Aber wohin gehen diese jungen Männer, wenn sie bei Aldi “rausgenommen” worden sind? … Nur wenige wechseln die Branche. Daher ist Aldi, genauer: der Geist von Aldi, überall. Wenn es in deutschen Handelsbetrieben “übel” zugeht, ist Aldi eine Wurzel dieses Übels.” (S.1071f) So ist zum Beispiel “Klaus Gehrig, Aufsichtsratsvorsitzender und starker Mann bei Lidl, … ein ehemaliger Aldi-Verkaufsleiter…” (S. 1073).
Fazit: Das Buch sollten alle lesen, die die Mechanismen kranken Wirtschaftens in einer mächtigen deutschen Branche genauer verstehen wollen. Und es lohnt, um mit detaillierten Fakten Freunde und Bekannte davon zu überzeugen, in Zukunft doch lieber nicht, beziehungsweise möglichst wenig bei den einschlägigen Lebensmitteldiscountern einzukaufen.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Straub, A. (2012)Aldi – einfach billig. Ein ehemaliger Manager packt aus. Rowohlt Digitalbuch, veröffentlich im Rowohlt Verlag. 8,99€

 

Weiterführende Quellen:
Amann, S. (2008): Kein Handshake mit Herrn Dings. Spiegel Online
Focus Money Online (2012): Aldi-Insider packt aus: “Kontrolle und Angst”. Focus Money Online
Handelsblatt (2012): Sexistische Filmaufnahmen am Aldi-Kühlregal. Handelsblatt (Im Buch von Straub finden sich auch Hinweise auf die Notgeilheit einiger leitender Angestellter, die die Bereichsleiter scherzhaft auffordern, mehr Blondinen einzustellen: “Können Sie nicht eine Filiale nur mit Blondinen bestücken?” (S. 764); “… Schukowsky (konzentriert sich) auf die Blondinenquote in den Filialen und auf die Oberweite der Verkäuferinnen.” (S. 473))
Zeuch, A. (2010): Nichtwissens-Blitzumfrage 2: Unternehmensboykott. integral-blog

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  1. […] durch systemisches Vorgehen, wie der ehemalige Aldi Manager Andreas Straub in seinem Buch →”Aldi – einfach billig” aufgezeigt […]

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