Tod eines Handlungsreisenden

Liebe Leserinnen und Leser!

64 Jahre sind vergangen seit der Erstveröffentlichung von Millers „Tod eines Handlungsreisenden“. Wir leben heute in einer reichlich anderen Zeit. Die Wirtschaft und Gesellschaft hat sich in vielerlei Hinsicht verändert. Und doch ist Millers Werk, mit dem er weltbekannt wurde, durch und durch aktuell. Die knapp zehn Euro lohnen allemal, um innezuhalten und durch die tragisch groteske Geschichte des Willy Lohmann angeregt das eigene Verhältnis zur Arbeitswelt und den Sinn und Wert von Arbeit überhaupt zu reflektieren.

Miller - Tod eines Handlungsreisenden

Meine Lesart des Handlungsreisenden: Eine Kritik an der totalen Ökonomisierung unserer Gesellschaft. Unter allen Disziplinen, die um gesellschaftliche Aufmerksamkeit buhlen, ist die Betriebs- und Volkswirtschaft(lehre) mit Abstand am erfolgreichsten. Das Diktat der Effizienzsteigerung hat mittlerweile praktisch jeden Lebensbereich erfasst. Alles muss sich irgendwann irgendwie der großen Frage nach der Existenzberechtigung stellen: „Ist das wirtschaftlich?“ In unserer Zeit sind längst auch Krankenhäuser und Bildungseinrichtungen auf dem Weg der Privatisierung und Gewinnmaximierung. Jüngst entstand Europas größte private Krankenhauskette als Helios die Rhön Kliniken schluckte. Selbstredend, dass die Spielregeln des sinnentleerten Turbokapaitalismus längst jeden einzelnen erfasst haben – und zwar schon einige Dekaden vor unserer Zeit.

Genau hier setzt Arthur Miller an. Der tragi-groteske Antiheld Willy Loman hat die perversen Werte des Kapitalismus völlig verinnerlicht: Ein Mensch zählt soviel wie seine Wirtschaftlichkeit, wie seine Ertragsleistung, seine Stellung im Ranking um den „Besten“, wie immer die „Nummer Eins“ errechnet wird. Es ist der amerikanische Traum vom Tellerwäscher zum Millionär. So, als ob der Besitz einer oder mehrere Millionen oder Milliarden Dollar an sich bereits erstrebenswert wären. Dieser Traum erweckt immer wieder den Anschein, als ob der monetäre Erfolg an und für sich bereits ein großer Wert wäre.

Der Handlungsreisende Willy Loman macht seinen eigenen Selbstwert, seine eigene Selbststachtung völlig davon abhängig, als Vertreter erfolgreich zu sein und andere „aufs Kreuz“ zu legen. Er hat sein langes Berufsleben dem Anspruch steigenden Wachstums und immer weiter zu optimierender Effizienz völlig untergeordnet. Und mehr noch: Er misst nicht nur sich selbst daran, sondern auch seine beiden Söhne Biff und Harold „Happy“ Loman. Er ist blind geworden für das Leben an sich, das seinen unermesslichen Wert in sich selbst trägt und keinerlei finanziell-ökonomische Krücken braucht, um glücklich gelebt zu werden.

Am Ende seines langen Vertreterlebens ist er müde geworden. Schafft nicht mehr die Leistung, die von ihm erwartet wird. Obwohl er Jahrzehnte seines Lebens für seinen Arbeitgeber geopfert hat, um sich seine scheinbar geachtete Stellung in einem an Oberflächlichkeiten gemessenen Leben zu erkämpfen, wird er am Ende auf billigste Weise entsorgt. Er bringt’s nicht mehr und also wäre es wirtschaftlich unvernünftig, ihm die Stange zu halten. Howard, der Mann der ihn rausschmeißt, ist viel jünger als er. Willy Loman kannte ihn schon als Baby und sein ökonomischer Henker verdankt seinen Namen seinem Schlachtopfer. Aber das spielt keinerlei Rolle, denn Howard hat seinerseits selbst jeden Funken echten Respekts vor dem Leben und jeden Seelenfunken an Liebe verloren. Er ist nur noch technophil verliebt in das erste Tonbandgerät, dass ein akustisches Abziehbild seiner erfolgreich zerstörten Familie konserviert.

Als dann noch Biff endgültig wirtschaftlich scheitert, weil er nicht den erwünschten Freundschaftskredit erhält, um sein Sportartikelunternehmen aufzubauen und sich statt dessen auf das besinnt, was er wirklich liebt, ein einfaches Leben als Zimmermann oder sonstwie gearteter Handwerker unter freiem Himmel, bricht Willys Welt endgültig zusammen. Biff bringt gegen Ende Willys Lebensbankrott auf den Punkt: „Ich musste immer überall Wunderkind und über Nacht Generaldirektor sein, aber mir reicht’s. … Ich stand mitten in diesem Geschäftshaus und sah – den Himmel. Ich sah alles, was ich wirklich liebe auf der Welt. Die Arbeit und das Essen und die Zeit, sich hinzusetzen und eine zu rauchen. … Was hab‘ ich in einem Büro zu suchen, wo ich mich zu einem jämmerlichen, bettelnden Trottel mache, wo alles, was ich will, draußen nur drauf wartet, dass ich sage: Ich weiß, wer ich bin.“ (S. 109)

Fazit: Der Handlungsreisende ist ein mächtiges Stück Literatur, das mehr denn je auch in unsere Zeit gehört. Ja, es gibt Hoffnung, es gibt Gegenbewegungen zu einem völlig sinnentleerten Kapitalismus und der Vorherrschaft der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung allen Lebens. Und doch ist der Spielverlauf noch längst nicht ausgemacht. Millers Drama ist ein äußerst wertvoller Beitrag, um die Verhältnisse von Wirtschaft, Gesellschaft und Leben wieder zurecht zu rücken.

 

Herzliche Grüße

Andreas Zeuch

 

Miller, A. (1986): Tod eines Handlungsreisenden. Fischer. Taschenbuch, 119 Seiten. 9,99€

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert