Rock your idea

Martin Gaedt lernte ich 2014 kennen, als ich sein Buch „Mythos Fachkräftemangel“ rezensierte. Wir trafen uns in dem Zusammenhang damals auch in Berlin und lernten uns so persönlich kennen. Vor ein paar Monaten meldete sich Martin mit seinem neuen Buch wieder bei mir. Im ersten Moment war ich skeptisch: Noch ein Buch über Kreativität? Dazu gibt es doch gefühlt genug Regalkilometer. Also ließ ich das Ganze erst mal sacken. Vor ein paar Wochen traf ich Martin dann wieder in Berlin anlässlich meines Umzugs in die Bundeshauptstadt. Das Gespräch war von Anfang an inspirierend und wir kamen in einen erstaunlichen Flow, in dem sein neues Buch auch eine Rolle spielte und wie es über viele Jahre gewachsen ist, was beim Lesen deutlich spürbar wird. Das veranlasste mich, das Buch dann doch genauer anzuschauen – und siehe da: Es hat sich gelohnt. Es gibt sogar einen klaren und deutlichen Bezug zur Unternehmensdemokratie, auch wenn Martin den an keiner Stelle explizit gemacht hat.

Eines vorweg: „Rock your ideas“ ist definitiv kein neues Methodenbuch. Es geht vielmehr um ein Mindset, eine innere Haltung und die nötige (Organisations)Kultur, damit sich Kreativität entfalten kann. Und genau das hat mich überzeugt. Genauso wie die zentrale Reflexion, dass Kreativität an sich weder gut noch schlecht ist. Sie kann ebenso zum Dienste des Gemeinwohls angewendet werden, wie zur katastrophalen Vernichtung von Menschen. Allerdings gibt es einen klaren immer wiederkehrenden Hinweis, der bei seiner Umsetzung wohl eher zu einer modernen, weltoffenen Gesellschaft und entsprechenden Organisationen führt, wenn man und frau ihn denn konsequent beachtet und umsetzt. Aber dazu später mehr.

160510_US_Gaedt_lbu.inddZu Beginn stellt Martin klar, das „unsere ganze Geschichte“ aus Ideen besteht. Und das Ideen keineswegs Ausnahmen sind, sondern vielmehr die Regel. Denn „ständig haben Menschen Ideen.“ Das ist trivial – und gleichwohl ungemein wichtig. Denn damit verliert Kreativität den Nimbus des Besonderen, der ihr doch viel zu oft übergestülpt wurde. Das in den letzten Jahren wohl bekannteste und bis zum Erbrechen durchexerzierte Beispiel war und ist die Genialität von Steve Jobs, gefolgt von vielen anderen Giganten der Kreativität. Dabei war das Besondere weniger deren Ideen, sondern das Durchhaltevermögen, mit dem diese Menschen an ihren Ideen dranblieben, daran geglaubt haben, entgegen aller Widerstände; bereit waren, dafür Risiken einzugehen und nicht selten die eigene (finanzielle) Existenz auf die Karte ihrer Idee gesetzt hatten. Genau das stellt Martin immer wieder klar. Von Anfang an.

Dieses Durchhaltevermögen und die Haltung „Geht nicht, gibt’s nicht“ sind viel wichtiger, als das exzessive Einsetzen von Kreativitätswerkzeugen. Und genau deshalb entwickelt Martin einen meta-methodischen Rahmen, das „A&O“ der Kreativität. Es braucht immer beides, Analyse und Offenheit, das Pendeln zwischen diesen Polen über die Leiter der Kreativität: Rahmen, Zutaten, Mixen, Diamanten, Schliff und Mehrwert. Dieses Pendeln zwischen A&O ist dann der Rhythmus der die Ideen zum Rocken bringt. Wichtig dabei: Keine Idee ist von Anfang an perfekt. Sie muss geknetet, gewalzt, durchdrungen werden, immer wieder, hin und her zwischen A&O, muss getestet werden an der Realität, muss, wenn sie angepasst wurde geschliffen werden, bis sie dann irgendwann zum Diamanten wird.

Dabei hilft ein wenig Gier – die Neugier. Das Fragen stellen, wenn möglich bitte offen, so dass sich etwas entfalten kann und nicht einfach digital mit Ja oder Nein geantwortet wird oder Fakten runter gerasselt werden. Und über das Fragen lässt sich eben auch die Kreativität eines jeden Menschen trainieren. Es ist – und das sehe ich persönlich ganz genauso – wie mit der Intuition. Da  ist nichts Mystisches, nichts, was nur einige Auserwählte in die Wiege gelegt bekommen haben. Das ist vielmehr der Mythos vom Mythos. Deshalb plädiert Martin klar dafür, dass wir alle über diesen Schatz verfügen. Und höchstenfalls individuell lernen müssen, unser eigenes Ideengold wieder auszugraben.

Martin Gaedt auf dem letzten großen Boulevard Europas in Berlin

Martin Gaedt auf dem letzten großen Boulevard Europas in Berlin

Und es ist schon erstaunlich: Martin lebt, was er predigt: Er fragt und fragt und fragt und … ich kann mich nicht erinnern, jemals ein Buch mit sovielen öffnenden, interessanten Fragen gelesen zu haben. Alleine das ist eine Leistung, die bemerkenswert ist. Aber es gibt noch etwas, was weiter reicht: Alles könnte anders sein! Es ist diese Haltung und die damit verbundenen Fragen, das Hinterfragen, was neben der Neu-Gier unsere Kreativität antreibt. Wer diese Haltung lebt, hinterfragt natürlich auch bestehende Geschäfts- oder gar Managementmodelle; hinterfragt, ob wir Organisationen immer so weiter führen müssen, wie zu Zeiten Standard Oils; hinterfragt, ob der einzige Zweck eines Unternehmens die Gewinnmaximierung ist; hinterfragt das große Paradigma von Steuerung und Kontrolle.

Und dann braucht es noch eine essenzielle Zutat: Vielfalt. Es ist nicht anders als bei der Weisheit der Vielen. Die entsteht auch nur mit der Vielfalt, mit unterschiedlichen Perspektiven, Wahrnehmungen, Interpretationen, Schlussfolgerungen – und natürlich mit einzigartigen Verknüpfungen von Elementen, die so nur Du oder ich haben können. Wir sind alle einzigartig und das ist unser Kapital. Und aller-, allerspätestens hier hatte Martin mich am Wickel. Dieses Kreativitätsbuch wird damit zum Plädoyer für eine offene Multikultigesellschaft, wider alle verzweifelten konservativen Versuche, Einfalt herzustellen und mit Gewalt aufrechzuerhalten, monolitische Kulturblöcke an denen wir uns die Schädel blutig rennen: „Rechthaberei und Fremdenfeindlichkeit hingegen verhindern Innovation.“ (S. 113) Natürlich ist es damit auch ein Plädoyer für entsprechende Organisationsstrukturen ohne dass Martin das besonders betonen müsste.

Folgerichtig hinterfragt er auch unsere Expertokratie, unsere Sehnsucht, die Experten mögen es schon richten, was auch immer. Oder: Wir sind die Experten, wir wissen schon, wo der Hase langläuft, wie es schon immer wahr, weil wir nunmal mühevoll über Jahre das Know-How aufgebaut haben. Natürlich geht es jetzt nicht naiv darum, dass wir alle unsere Expertise in den Wind blasen. Nein, statt dessen ist Anfängergeist hilfreich – das nennt Martin nicht so, fiel mir aber sofort ein als nötiges Gegengewicht, um nicht in die Expertokratie abzurutschen, in der wir als Laien oder Anfänger schön das Maul halten sollen. Es ist auch das Lob des Nichtwissens als genauso wichtige Vorbedingung von Kreativität wie unsere Erfahrungen und unser Wissen: „Ideenfitte zeichnet die Demut zum Nichtwissen aus.“ (S. 159)

Und was, wenn man nun eine großartige Idee hatte, sie gewalkt, genketet, durchdrungen, losgelassen und wieder angefasst hat, sie getestet hat, immer wieder und dann geschliffen bis sie glänzte wie ein unverschämter reiner Diamant? Führt das dann rezeptgleich zum Erfolg? Mitnichten. „Der Ideen-Olymp und der Ideen-Trümmerberg liegen dicht beieinander.“ (S. 216). Dabei ist dieser Satz nicht einfach wohlklingend lapidar niedergeschrieben. Was Martin und sein neues Buch so glaubwürdig und überzeugend macht: Der Autor versteckt sich nicht hinter einer Aneinanderreihung von blendenden Erfolgsgeschichten. Nein, er macht seine eigene Misserfolge transparent, erzählt mit entwaffnender Offenheit vom eigenen grandiosen Scheitern. Es erinnert an Alexis Sorbas, als nach schmerzhaft langer Schufterei die Seilbahn bei Inbetriebnahme zusammenstürzt. Am Ende ist aber auch das Teil des Lebens und dann wird erst einmal getanzt. Diese positive Haltung zum Scheitern ist genauso Teil gelungener Kreativität: „Wo lernen wir zu experimentieren? Wo erwerben wir eine positive Grundhaltung zum Trümmerberg?“ (S. 217)

Fazit: Ein Buch für alle, die ihrer Kreativität oder der ihrer Organisation einen ordentlichen Schub geben wollen. Prall gefüllt mit nicht enden wollenden Beispielen und inspirierenden Fragen. Ein Muss für alle Ideonauten der Zukunft.

Herzliche Grüße

Andreas

 

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