Prinzip Menschlichkeit

Liebe Leserinnen und Leser!

Wirtschaft ist Krieg! Manager sind harte Hunde, um nicht zu sagen: echte ökonomische Elite-Kampfschweine, trainiert in der harten Kunst wirtschaftlichen Nahkampfs, um den War for Talents zu gewinnen, um zu verhindern, von der Konkurrenz verschlungen, filetiert oder in Stücke gerissen zu werden. Diesen Eindruck bekommt man jedenfalls, seitdem Wirtschaft vom Militär lernt und sich eines entsprechend martialischen Vokabulars bedient. Es ist ein regelrechtes Warwording: Abwehrschlacht, Chief X Officer, Headhunter, Hauptquartier, Patentkrieg und so weiter und so fort. Da uns die Geschichte, Wirtschaft sei Krieg, immer wieder aufs Neue verkauft wird, in unser aller Hirn gehämmert, entfaltet sie ihre Wirkung. Worte sind machtvoll. Vom Kriegsszenario ausgehend ist es dann nur die logische Konsequenz, dass Kooperation als naives Gutmenschentum in den Schlamm globaler Wirtschaftsschlachtfelder getreten wird; sie gerät ins Kreuzfeuer aus Sozialdarwinismus und Verdrängungswettbewerb. Das indes all dieses verbale Säbelgerassel, diese pseudowissenschaftlichen Paraden nichts weiter als unhaltbare Behauptungen sind, wird allerspätestens klar, wenn man Bauers Buch liest. Es ist ein biologisch und medizinisch fundiertes Plädoyer für mehr Menschlichkeit – und damit auch für Kooperation in der Arbeitswelt.

Neben all den militärischen Anleihen bedient sich der Mainstream der Wirtschaft für sein Menschenbild bei Darwin und dessen Folgen. Wer dies tut, sollte allerdings neben all den großen Leistungen, die Darwin sicherlich vollbracht hat, auch dessen Schattenseiten kennen: „Bei den Wilden werden die an Geist und Körper Schwachen bald beseitigt… auf der anderen Seite tun wir zivilisierte Menschen alles nur Mögliche, um den Prozess der Beseitigung aufzuhalten. Wir bauen Zufluchtsstätten für die Schwachsinnigen, für die Krüppel und die Kranken; wir erlassen Armengesetze, und unsere Ärzte strengen sich an, das Leben eines jeden bis zum letzten Moment zu erhalten. Es ist Grund vorhanden anzunehmen, dass die Impfung Tausende erhalten hat, welche in Folge ihrer schwachen Konstitution früher den Pocken erlegen wären… Niemand… wird daran zweifeln, dass dies für die Rasse des Menschen in höchstem Maße schädlich sein muss.” (zitiert nach Bauer: Darwin 2005 [1871]: Die Abstammung des Menschen. Voltmedia, S. 148) Wohlan, nun wissen wir, woher der Wind weht. Da ist dann folgende Bemerkung Darwins in einem Brief an den englischen Physiologen Wilhelm Preyer nicht mehr verwunderlich: „Die Unterstützung, die ich von Deutschland aus erhalte, ist der Hauptgrund für meine Hoffnung dass meine Sicht der Dinge am Ende die Oberhand behält.“ (zitiert nach Bauer: Darwin, [1919]: The Life and Letters of Charles Darwin). Folgerichtig stürzte sich so mancher Rassenhygieniker und Eugeniker wie August Weismann oder Alfred Ploetz dankbar auf die Darwinsche Steilvorlage.

Diese historischen Fehltritte sollten wir heute allerdings längst überwunden haben. Der Verdrängungswettbewerb als Variation des Darwinschen Kampf ums Überleben entspricht nicht mehr dem wissenschaftlichen Stand des Wissens. Die Grundlage des Lebens liegt vielmehr in der Kooperation und in gelungenen Beziehungen, nicht im Kampf aller gegen alle. Bauer macht deutlich, dass die Entdeckung menschlicher Motivationssysteme mit den beiden Botenstoffen Dopamin und Oxytozin ein ganz anderes Menschen- und damit Wirtschaftsbild nahelegen: „Das natürliche Ziel der Motivationssysteme sind soziale Gemeinschaft und gelingende Beziehungen mit anderen Individuen. … Kern aller Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben.“ (S. 36) So konnte der amerikanische Neuroökonom Paul Zak in einem Experiment zeigen, dass Vertrauen zu Vertrauen führt und Misstrauen und Ablehnung umgekehrt Aggression hervorruft. Natürlich kann Vertrauen missbraucht werden. Aber das ist weder heute noch zukünftig ein Argument gegen die gesunde Reaktion auf Vertrauen.

Damit nicht genug. Kooperation ist sogar die Grundlage des Lebens, nicht Verdrängungswettbewerb, Konkurrenz und ein allgegenwärtiger Kampf. Die Erfindung des „egoistischen Gens“ durch Richard Dawkins kann ebenfalls als widerlegt gelten (Vergleicht dazu →“Der Wissenschaftswahn„). Das zeigt Bauer an zwei zentralen biologischen Prozessen: Erstens der Verdoppelung der Erbsubstanz DNA, die nur durch  sogenannte Helfermoleküle möglich ist. Ohne Kooperation könnte sich die DNA erst gar nicht replizieren. Zweitens ist Kooperation die Grundlage zellulären Lebens: „Das Leben einer Zelle könnte nicht funktionieren ohne ein kooperierendes Zusammehwirken der Erbsubstanz, der sie umgebenden Eiweißstoffe, der in der Zelle vorhandenen Organellen und der die Zelle begrenzenden Membranen. Allein durch Darwins Prinzipien der Variation und Selektion lässt sich weder die Entstehung der Zelle noch die Bildung mehrzelliger Lebewesen, noch die Entwicklung höherer (komplexer) Lebensformen aus einfacheren Vorstufen erklären. Alle drei Phänomene hätten ohne Kooperation als primären eigenständigem biologischen Prozess nicht zustande kommen können.“ (S. 131f, kursiv im Original)

Gegen Ende seines Buches fasst Joachim Bauer die Bedeutung des augenblicklichen wissenschaftlichen Stands für das Wirtschafts- und Arbeitsleben zusammen:
  1. „Die Basis von Motivation als Grundhaltung ist die übergeordnete gesellschaftliche Sinnhaftigkeit dessen, was geleistet wird.
  2. Maßgeblich für die vom einzelnen Beschäftigten aufgebrachte Motivation hier und jetzt ist die aktuelle Gestaltung von Beziehungen am Arbeitsplatz.
  3. Gute Beziehungen am Arbeitsplatz, Fairness und erlebtes Vertrauen haben nicht nur motivierende, sondern auch gesundheitsstabilisierende Wirkung.“ (S. 205f)
Damit ist dann auch leicht ersichtlich, dass ein kooperatives und faires Arbeitsumfeld auf der Umsatz- und Kostenseite zu positiven Effekten führt: Motiviertere Mitarbeiter leisten mehr und kreativer und werden weniger krank. Unter dem Strich führt Kooperation, Fairness und Wertschätzung im Vergleich zu einer gegenteiligen Kultur zu mehr Unternehmensgewinn.

Noch eine Anmerkung von mir: Unabhängig von all dem, was Bauer ausführt, stellt sich doch eine einfache Frage: In welcher Welt wollen wir eigentlich leben? In einer, in der wir in der Wirtschaft Krieg spielen, in Abwehrschlachten ziehen und uns filetieren, oder in einer, in der wir den anderen achten, wertschätzen und mit ihm kooperieren?

Fazit: Joachim Bauers Buch sollte in jedem echten oder virtuellen Regal stehen. Es sollte zur Standardlektüre in Schulen werden. Es lohnt für alle, die an den tiefen Sinn von Kooperation glauben, es gibt ihnen starke Argumente in die Hand und macht ganz einfach Mut. Ebenso lohnt es für alle Freunde des Verdrängungswettbewerbs, für alle Prediger des Wirtschaftskriegs. Bleibt zu hoffen, dass Letztere es überhaupt in die Hand nehmen. Kurzum: Ein Buch für alle, die mehr Menschlichkeit wollen, in der Wirtschaft und auch im restlichen Leben.

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

 

Bauer, J. (2006): Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Heyne. Paperback, 256 Seiten. 7,95 €

 

Weitere Quellen

2 Kommentare
  1. Tim Weinert
    Tim Weinert sagte:

    Hallo Andreas,
    freue mich immer wieder auf deine Rezensionen. Das Buch und die Erkenntnisse passen wunderbar in die Ansätze zum Sinn in der Arbeit. Auch die „job crafting practices“ betonen die Notwendigkeit von Beziehungen am Arbeitsplatz und deren Gestaltungsfähigkeit und deren Beitrag zur Sinnempfingung. Punktum, Buch ist bestellt.
    Gruß
    Tim

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