Landkooperativen Longo maï. Pioniere einer gelebten Utopie.

Euch allen zunächst alles Gute für 2016! Ich hoffe, Ihr seid gut ins neue Jahr gekommen und guter Dinge. Nun zum Jahresanfang möchte ich mit diesem Beitrag ein Buch vorstellen und empfehlen, was schon lange auf meinem Rezensionsstapel lag und das ich nun zwischen den Jahren endlich lesen konnte: „Landkooperativen Longo maï. Pioniere einer gelebten Utopie.“ Um es gleich vorwegzunehmen: Die Darstellung von Longo maï strotzt vor Widersprüchen und Vieles, was ich las, überzeugte mich ganz und gar nicht als alternatives Modell für Unternehmen und Organisationen. Aber es ist eine wertvolle Anregung, um über Vieles, auch Grundsätzliches fruchtbar nachzudenken.

Der Historiker Andreas Schwab ermöglichst mit seinem Buch einen erfrischend differenzierten Blick auf die Landkooperativen Longo maï. Weder verfällt er den Hetzkampagnen, die eine Zeit lang vorwiegend in der Schweizer Presselandschaft zu verfolgen waren (und die er gründlich reflektiert), noch gibt er sich naiven Schwärmereien über das alternative Lebens- und Wirtschaftsmodell in den verschiedenen Kooperativen hin. Schwab zeichnet ein ausgewogenes Bild, dass es den LeserInnen ermöglicht, sich ein eigenes Bild zu machen. In der Tiefe werde ich auf die Widersprüche dieses Realexperiments im nächsten Blogpost der Unternehmensdemokraten eingehen.

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Sein Buch gliederte Schwab in acht jeweils leicht verdauliche Kapitel, die in Summe einen guten Ein- und Überblick über die Entwicklung und das (Arbeits-)Leben in den verschiedenen Kooperativen bieten. Alle Kapitel sind mit verschiedenen Farb- und Schwarz-Weiß-Fotos illustriert, die den Text angenehm unterstützen und erweitern.

Longo maï, provenzalisch für „Es möge lange währen“, wurde 1973 von Studenten aus dem linkspolitischen Umfeld gegründet. Im Gegensatz zu anderen Kooperativen, wie beispielsweise den venezuelanischen Dachverband Cecosesola, war und ist Longo maï von Anfang an hochgradig politisch orientiert. Das hat natürlich ebenso Vorteile wie Nachteile. Letztere sind offensichtlich: Die teils radikale und häufig naiv anmutende sozialistische Orientierung dürfte vielen eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit einigen überaus interessanten Aspekten versauern. Da wurde zumindest in den 1970ern reichlich mit anti-kapitalistischen Plattitüden um sich geworfen, was wohl den jungen, ungestümen Jahren der Gründer geschuldet war. Gleichzeitig wurden von Menschen und Institutionen kontinuierlich seit nunmehr über 40 Jahren Spenden gesammelt, die eben Teil des ansonsten so verachteten Kapitalismus sind. Kurzum: Gelebte Bigotterie. Auf den Kapitalismus schimpfen, sich aber durch Teilnehmer desselben finanzieren lassen.

Das Ärgerliche dabei: Viel von der Kritik, die zu Longo maï geführt hat und dort auch heute noch geäußert wird, ist vollauf berechtigt. Keine Frage: Der zwanghafte Wachstumswahnsinn, die materialistische Reduktion auf Konsum, nicht-nachhaltige Produktion und Produkte, Verdrängungswettbewerb – all das lässt sich durchaus in eine harte Kritik nehmen. Allerdings würde ich dann auch erwarten, dass man und frau sich mal Gedanken über das Geschäftsmodell der Kooperativen macht, aber leider entstand bei mir der Eindruck, dass bereits die Fragestellung: „Womit verdiene ich wie warum mit wem auf welchem Weg ausreichend Geld?“ bereits als kapitalistische Denkfigur diffamiert wird. Und so nehmen die Mitglieder der Kooperativen eher die Bigotterie auf sich, in die Hand zu beißen, die sie (zur Hälfte) ernährt.

Und doch lohnt die Auseinandersetzung. Die Sinnkopplung bei der Arbeit scheint weit über dem zu liegen, was MitarbeiterInnen normalerweise erleben. Den meisten scheint die Arbeit größtenteils viel Freude zu bereiten und es stellt sich nicht die Frage, was der ganze Quatsch eigentlich soll. Der Zusammenhalt und die Solidarität scheinen ebenso vorbildlich zu sein. Es hat offensichtlich einen positiven Einfluss auf die MitarbeiterInnen, wenn es weder formal-fixierte Hierarchie noch eine Reduktion auf gewinnbringende Tätigkeiten gibt. Gerade die Gleichwertigkeit aller Tätigkeiten hat mich besonders positiv berührt. (Mehr darüber demnächst im Blog der Unternehmensdemokraten.)

Fazit: Trotz aller Widersprüchlichkeiten, mit denen Longo maï und deren Mitglieder aufwarten, ist das Buch eine Quelle lebendiger Inspiration. Meine Empfehlung zu einem alternativen Start ins neue Jahr!

 

Herzliche Grüße

Andreas

 

Schwab, A. (2011): Landkooperativen Longo maï. Pioniere einer gelebten Utopie. Rotpunktverlag. Gebunden, 238 Seiten, € 27,-

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  1. […] neue Empfehlung in meinem Rezensionsblog „Zeuchs Buchtipps“ veröffentlicht: „Landkooperativen Longo maï. Pioniere einer gelebten Utopie.“ Die Lektüre über die verschiedenen, zusammenhängenden Landkooperativen war durchaus […]

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