Corporation 2020

Liebe Leserinnen und Leser!

Dieses Buch ist nicht einfach ein Buch. Es hat nur auf der Titelseite einen Autoren. Dahinter steckt ein Team, eine Kampagne und ein Institut. Mindestens. Das macht klar, wie es zu der Recherchetiefe kommt und der beinahe überwältigenden Informationsdichte. Der nominelle Autor Pavan Sukhdev leitete die Green Economy Initiative der UN Umweltorganisation UNEP und war maßgeblich an der TEEB-Studie (The Econonomics of Ecosystems and Biodiversity) „zur Erfassung des ökonomischen Werts von Natur und Ökosystemen“ beteiligt. Als Mitarbeiter der Deutschen Bank hat er sich eine Auszeit genommen, um dieses Buch zu schreiben – nachdem er von zwei Freunden davon überzeugt wurde, es als konsequenten Schritt aus der TEEB-Studie anzugehen. Das Ergebnis ist zweifelsfrei ein wichtiger Meilenstein für einen Wirtschaftswandel hin zu einer menschlichen Wirtschaft, die eine weitreichende öko-soziale Nachhaltigkeit realisiert, fernab jeglichen Greenwashings. In den Worten und der Logik Sukhdevs ist dies die Transformation von der Corporation 1920 zur Corporation 2020.

Sukhdev - Corporation 2020

Sukhdevs zentrale Frage besteht darin, wie privatwirtschaftliche Gewinne bestmöglich mit einem umfassenden Gemeinwohl in Einklang gebracht werden können – als Folgefrage auf die dahinter liegende, noch grundsätzlichere Frage, wozu Wirtschaft eigentlich da sei. Dazu fokussiert auf den Wandel multinationaler Konzerne. Es sind die Big Player, die er analysiert, kritisiert und neu entwirft. Der Ausgangspunkt dafür ist die historische Rückschau, wie es eigentlich zu dem heute vorherrschenden Wirtschaftsverständnis kommen konnte und den damit verbundenen unternehmerischen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen. „Der einzige Zweck des Unternehmens besteht in der Gewinnmaximierung.“ Das ist das Hohelied unseres geltenden Kapitalismus, die DNA allen Wirtschaftens. Sukhdev untersucht (oder besser: ließ untersuchen), ob dies schon immer so war und stellt fest: Keineswegs. Es ist vielmehr vorwiegend ein Ergebnis der letzten hundert Jahre. Diese extrem eigennutzenmaximierende Sicht ist der Kern der Corporation 1920:

Ein Baustein der heutigen Unternehmen ist die beschränkte Haftung. Für uns ist sie heute selbstverständlich, ist ein Teil sogar in der Namensgebung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Wir glauben heute, dass dies eine wichtige Absicherung für Unternehmer ist, um überhaupt Risiken einzugehen und im Falle des Scheiterns nicht in die private Insolvenz zu geraten. Sicherlich hat die Haftungsbeschränkung in vielerlei Hinsicht ihre Berechtigung. Allerdings war es eben nicht immer so. Als 1855 das englische Parlament den Limited Liability Act zur Haftungsbeschränkung erließ, wurde dies nicht sogleich ein Erfolg. Vielmehr bedeutete das alte System der unbeschränkten Haftung eine vertrauensbildende Maßnahme für Anleger. Als 1889 die City of Glasgow Bank zusammenbrach, kam es zu einer weitreichenden Umorientierung in Richtung Haftungsbeschränkung.

Mindestens genauso wichtig war ein historisches Gerichtsurteil über den Streit zwischen Henry Ford und den Gebrüdern Dodge als Investoren. Ford wollte „Gewinne in eine Fabrikerweiterung reinvestieren…“ (S. 47), die Gebrüder Dodge jedoch eine höhere Dividende. Das Gericht schrieb zum Abschluss des Prozesses: „Ein Unternehmen wird in erster Linie zu Gewinnzwecken für die Aktionäre gegründet und durchgeführt. Die Vollmachten der Geschäftsführer sind zu diesem Zweck zu nutzen.“ – Ford unterlag und seine Sicht „ein Unternehmen sei ein Werkzeug des Dienstes, keine Maschine zum Geldverdienen.“ (S. 48) verwandelte sich ins exakte Gegenteil. Auch aus gesellschaftlicher Sicht wurde Gewinnmaximierung das Kernmotiv unternehmerischen Handelns. Es war dies ein fundamentaler Wandel im Verständnis des Unternehmenszwecks, denn der lag zuvor über fast 2000 Jahre in einer Gemeinwohlorientierung. Sukhdev arbeitet weitergehend vier prägende Eigenschaften der Corporation 1920 heraus:

  1. „Größe und Skaleneffekte, um eine marktbeherrschende Position zu erringen.
  2. Aggressives Lobbying, um regulatorische Wettbewerbsvorteile zu erreichen.
  3. Umfangreiche Werbung (quasi als Ethikfreier Raum, AZ), zur Beeinflussung der Verbrauchernachfrage … indem menschliche Unsicherheiten ausgenutzt und Wünsche in Bedürfnisse umgewandelt werden.
  4. Aggressiver Einsatz von Fremdkapital, um die Investitionen der Anteilseigner des Unternehmens zu optimieren.“ (S. 29)

Diese Eigenschaften belegt Sukhdev mit beeindruckenden und teils erschütternden Beispielen, die durch und durch klar machen, dass die Erfolge der Corporation 1920 nur auf Kosten der Gemeinschaft realisiert werden konnten. Dies wurde den meisten von uns spätestens mit der Krise 2007/2008 bewusst, als der Mechanismus, Gewinne zu privatisieren und Verluste an die Gemeinschaft abzuwälzen, nicht mehr zu übersehen war. Ein weiterer systemischer Zusammenhang entstand durch den TBTF-Status: To big to fail, der ebenfalls in der letzten großen Krise eine bedeutsame Rolle spielte.

Diesem alten Modell stellt Sukhdev die Corporation 2020 entgegen. „Die neue Unternehmens-DNA“ weist unter anderem vier zentrale Aspekte auf:

  1. „Die Ausrichtung der Unternehmensziele an den Zielen der Gesellschaft
  2. Das Unternehmen als Gemeinschaft.
  3. Das Unternehmen als Bildungsinstitut und
  4. das Unternehmen als Kapitalfabrik.“ (S. 34)

Um diese DNA zu verwirklichen, schlägt Sukhdev wiederum vier wichtige Transformationsthemen vor, die er in den dazugehörigen Kapiteln ausarbeitet:

  1. Offenlegung externaler Kosten (Ressourcenabbau zur Produkterzeugung, Umweltverschmutzung und Gesundheitsschädigung durch Produkte etc.) und externaler Nutzen (Gemeinschaftsbildung, Ausbildung und Schulung etc.)
  2. Besteuerung von Ressourcen anstelle von Gütern
  3. Verantwortungsbewusste und rechenschaftspflichtige Werbung und
  4. Begrenzung des Fremdkapitals.

Allerdings – und da ist sich Sukhdev sicher – sind die Probleme infolge der Corporation 1920 derart komplex, dass diese vier Punkt sicherlich nicht reichen werden, um einen globalen Wandel zu realisieren. Deshalb schlägt er zusätzliche politische Steuerung vor. Das beinhaltet wiederum einen ziemlich bunten Strauß an Überlegungen und Maßnahmen, die eine wahre Herkulesaufgabe darstellen, sofern die Corporation 2020 tatsächlich bis 2020 realisiert werden sollen. Dazu gehört unter anderem die Entwicklung alternativer volkswirtschaftlicher Kennzahlen, die endlich das Bruttoinlandsprodukt und Bruttonationaleinkommen ablösen, wobei alleine der Ausflug in die Geschichte des BIP entlarvend ist, entstammt es doch einer Zeit, längst überholt ist.

Fazit: Ein Buch für alle, die einen Wandel wollen. Hin zu einer Wirtschaft, die der Gemeinschaft aller Menschen dient.

 

Herzliche Grüße

Andreas Zeuch

Sukhdev, P. (2013): Corporation 2020. Warum wir Wirtschaft neu denken müssen. oekom. Gebunden, 296 Seiten. € 19,95

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