Citizen Science
Liebe Leserinnen und Leser!
Als ich den Titel bei oekom sah, kam mir unmittelbar die Assoziation zu meinem Konzept des Anfängergeistes einerseits und meiner Kritik an Expertokratie andererseits in den Sinn (→“Feel it!“). Und so durfte ich mich einmal mehr freuen: Es gibt immer noch etwas dazu zu lernen. Denn der Begriff und die sich dahinter erschließende Welt der Citizen Science war mir bis dahin fast unbekannt. Einzig im Zusammenhang mit Crowdsourcing und Open Innovation hatte ich ein wenig von Citizen Science mitbekommen, aber das ist nur ein kleiner Ausschnitt. So weit mein persönlicher Einstieg. Aber was hat Citizen Science mit menschlicher Wirtschaft zu tun? Eine Menge, wie Ihr merken werdet…
Der Autor Peter Finke war Professor für Wissenschaftstheorie und Kulturökologie und emeritierte freiwillig 2006 aus Protest gegen die politisch verordneten Strukturreformen. Nebenbei engagiert sich selbst im Bereich Citizen Science und ist zur Zeit Beisitzer der Vereinigung für ökologische Ökonomie. Er bringt also die Voraussetzungen mit, um profund über das Thema zu schreiben: Er ist Akteur der Professional und der Citizen Science. Er schreibt nicht abgehoben distanziert wissenschaftlich über das Phänomen der Citizen Science, sondern nimmt auf angenehme Weise beide Blickwinkel ein: Die Außen- und Innenperspektive.
So wie viele Begriffe ist auch die „Citizen Science“ vielschichtig, bunt und schillernd. Zunächst einmal lässt sich der Begriff aus dem Englischen nur bedingt ins Deutsche übersetzen. Alle deutschen Begriffe greifen immer nur eine Facette auf und blenden andere aus. Sicherlich ist der Englische Begriff auch nicht unbedingt ausgesprochen präzise. Und so schlägt Finke erst einmal zwei grundsätzliche Typen von Citizen Science vor:
- Citizen Science light: Hier werden Laien, Amateure, kurz nicht professionelle Wissenschaftler in teils große professionelle wissenschaftliche Projekte eingebunden. Sie sind sozusagen Zulieferer an Beobachtungen und somit Daten, die dann von den professionellen Wissenschaftlern ausgewertet werden. Die Steuerung der Projekte erfolgt klassisch über die Universitäten und Forschungsinstitute.
- Citizen Science proper: Mit diesem Begriff meint Finke die selbstgesteuerten und -organisierten wissenschaftlichen Arbeiten von nicht professionellen Wissenschaftlern in Netzwerken, Initiativen und dergleichen mehr. Die einzelnen Akteure arbeiten nicht gezielt professionellen Wissenschaftlern zu, sondern arbeiten frei an Forschungsgegenständen, die sie zumeist aus persönlichen Gründen interessieren.
Dabei ist es Finke wichtig, und diese Haltung ist durch das ganze Buch spürbar, dass es nicht die eine echte Form von Citizen Science gibt, die besonders wertvoll ist, während andere Formen nur minderwertig wären. Nein, beide Formen, die Finke nachvollziehbar und überzeugend beschreibt, haben ihren eigenen Wert. Es geht immer darum, die professionelle Wissenschaft zu ergänzen und zu bereichern. Aber wie ist das möglich, wo doch vorwiegend die Profis über eine entsprechende Ausbildung und die dazugehörigen Forschungsmittel verfügen?
Die Antwort ist ebenso einfach wie plausibel: Der professionelle Wissenschaftsbetrieb krankt international an einer zunehmenden Institutionalisierung und Ökonomisierung: Universitäten sind ähnlich umkreativ strukturiert wie Unternehmen, es gibt klare Verantwortungs- und vor allem Forschungs- und Wissensbereiche, klare Stellenbeschreibungen mit entsprechenden Aufgaben, die unbedingt eingehalten werden müssen; infolge des Bologna Prozesses werden Universitäten immer weiter verschult, Freiheiten in Forschung, Lehre und Studium werden immer weiter eingeschränkt. Dazu gesellt sich noch die unsägliche Ökonomisierung, in der Universitäten immer mehr gezwungen werden, wirtschaftlich verwertbare Ergebnisse zu erzeugen, natürlich möglichst effizient. Was nicht durch die Wirtschaft kommerzialisierbar ist, wird zunächst an den Rand gedrängt und später ganz getilgt. Hinderlich ist desweiteren der Tatbestand, dass Forscher keineswegs immer interessengeleitet dem nachgehen können, was sie tatsächlich gerne erforschen würden. Nein, sie müssen, wenn sie Karriere machen wollen, innerhalb des jeweils gültigen Forschungsparadigmas das erforschen, was opportun ist.
Citizen Science hat demgegenüber den erheblichen Vorteil großer Unabhängigkeit, Freiheit und damit verbundener Kreativität. Noch gibt es keine starken und starren bürokratischen Strukturen, noch hat die Wirtschaft nur sehr spärlich die Möglichkeiten der Citizen Science erkannt und eine wissenschaftliche Karriere spielt im Kontext der Citizen Science keine Rolle. Dementsprechend herrscht eine buntes, kreatives Treiben, dass aber auch seine Kosten hat. Citizen Science kann schneller in Scharlatanerie enden, und wenn das nicht geschieht, sondern hervorragende Ergebnisse erzielt werden, dann gibt es Probleme mit der Ausbreitung dieser neuen Wissensbestände. Denn nur wenige Citizen Scientists haben noch das Interesse, ihre Ergebnisse zu publizieren. Was ja auch angesichts der beinahe hermetisch geschlossenen wissenschaftlichen Publikationswelt ausgesprochen schwierig ist.
Finke behandelt noch viele andere wichtige Fragen, zum Beispiel die Chancen und Risiken einer finanziellen Förderung von Citizen Science oder das nicht erfüllte demokratische Bildungsangebot, dass einen Politikwandel erfordert. All das verbindet Finke immer wieder mit Zitaten von Citizen Scientists, die kurz und bündig von Ihrer Begeisterung und teils tiefen Motivation berichten; warum sie forschen, warum es wichtig ist, auch und gerade für das Gemeinwohl. Da ist das Zitat eines Managers geradezu grotesk und verdeutlicht die Misere der Ökonomisierung: „Wissenschaft ist oft ineffektiv organisiert … Solange elementares Marketing nicht in den Köpfen der Wissenschaftler einzieht, wird da nichts besser. Ganz schlimm sind diese Hobbywissenschaftler. Die haben oft nicht einmal eine klare Hierarchie, wie Kommunikation verlaufen sollte. Das kann natürlich nichts werden.“ (S. 174)
Der Zusammenhang zu einer menschlichen, ökosozialen Wirtschaft ist nach diesen weisen Worten schnell hergeleitet:
- Fast alle Vertreter von Citizen Science machen sich für einen achtsameren Umgang mit Natur und Kultur stark.
- Citizen Science ist ein alternativer Entwurf, eine Gegenkraft zur akademischen Wissenschaft, die zunehmend dem Diktat einer gewinnmaximierenden Wirtschaft unterworfen wird.
- Citizen Science zeigt, dass es Alternativen zu einer verknöcherten Expertokratie gibt, in der es nur noch darum geht, Wissen zu konservieren und mit Machtpositionen zu verknüpfen.
- Citizen Science ist ein Stück Aufklärung: „Sapere aude!“ – die Kantsche Forderung, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, wird hier in vielen Zügen verwirklicht. Ein gutes Beispiel dafür ist der Ingenieur Dr. Horst Morgan, der ein „krasses Fehlurteil des Bundesverfassungsgerichtes“ in jahrelanger Arbeit aufgedeckt hat (dazu →“Haupt- und Nebenwirkungen„).
- Last not least ist Citizen Science gelebte, selbstorganisierte Demokratie. Damit ist sie ein weiteres Beispiel und eine Inspiration für mehr Selbstorganisation in Unternehmen. Wider die angeblich ach so effiziente formale Hierarchie.
Fazit: Ein Buch für alle diejenigen, die in wissensintensiven Bereichen arbeiten, die Wissenschaft als Haltung verstehen, nicht als amtlich gestempelte Befugnis oder die es leid sind, dass alles einer wirtschaftlichen Verwertungslogik unterworfen wird.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Finke, P. (2014): Citizen Science. Das unterschätzte Wissen der Laien. oekom. Gebunden, 240 Seiten. € 19,95
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