Otto Moralverbraucher

Liebe Leserinnen und Leser!

Wer unsere Wirtschaft kritisch wahrnimmt, erkennt schnell, dass vieles äußerst fragwürdig ist: Konzerne produzieren häufig oder meist billig auf Kosten der Gemeinschaft. ArbeiterInnen, zumeist in Fernost, werden mit Billigstlöhnen ausgebeutet und müssen unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen arbeiten. Abfälle, Abwässer, Luftverschmutzung, Rodungen und dergleichen mehr werden der Gemeinschaft als externe Kosten aufgebürdet und fließen nicht in die Verpreisung ein. Da wünscht man und Frau sich einerseits eine strengere Gesetzgebung, denn es dürfte recht blauäugig sein, zu hoffen, dass die Konzerne, deren Credo der gewinnmaximierende Shareholder-Value ist, freiwillig umsteuern. Leider spielen die Konzerne jedoch virtuos auf der Klaviatur des Lobbyismus und schreiben häufig die Gesetzgebung gleich selbst durch ihre Anwaltskanzleien. Auf rechtlich Regulation zu warten, ist also nicht so ganz überzeugend. Aber wir Verbraucher sind doch längst nicht mehr nur einzelne Konsumenten, sondern können uns – angeblich – dank Web 2.0 schnell selbst organisieren und so konsumkritisch handeln. Soweit die Theorie. Aber wie sieht es in der Praxis aus? Was bringt kritischer und engagierter Konsum wirklich?

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Caspar Dohmen arbeitet als Wirtschaftsjournalist, schrieb für das Handelsblatt, ist aktuell Wirtschaftskorrespondent der Süddeutschen Zeitung und Autor im Deutschlandfunk, WDR und SWR. Vor diesem Hintergrund hat er sich der wichtigen Frage nach dem „Sinn und Unsinn engagierten Konsumierens“ angenommen. Gleich zu Beginn macht er die Probleme deutlich, mit denen man konfrontiert wird, wenn man sich mit kritischem Konsum beschäftigt: Nachdem am 24. April 2013 das neunstöckige Gebäude der Rana Plaza in der bengalischen Stadt Savar einstürzte, starben 1100 Menschen und mehr als 2400 wurden verletzt. Das ging auch bei uns durch die Medien und doch stieg der Exportumsatz des Landes mit Textilien weiter an. Wo waren da die engagierten Konsumenten? Und das, obwohl auch in Deutschland 82% der Verbraucher im Boykott ihr wichtigstes Einflussmittel sehen.

Boykott und Verbrauchermacht haben eine spannende Geschichte, wie Dohmen am Beispiel der Sklaverei deutlich macht. So verzichtete beispielsweise John Woolman 1720 auf den Kauf von Produkten aus Sklavenarbeit. Und mehr noch, er ging auf Vortragsreisen, um das Unrecht anzuprangern. Oder Thomas Clarkson, der einen seine Rede aus einem Rhetorikwettbewerb zur Frage, ob es Rechtens sei, andere gegen ihren Willen zu versklaven, in Volkes Sprache übersetzte. 1787 gründete er dann mit anderen eine Gesellschaft, die als Abolitionisten-Bewegung bekannt wurde. Oder der ehemalige Major Charles Boycott, der bei einer Missernte 1879 einen Nachlass der Pacht verweigerte und so zum unfreiwilligen Namensgeber des Boykotts wurde: Denn die Pächter forderten alle Menschen auf, ihre geschäftlichen Beziehungen mit Boycott einzustellen – was hervorragend funktionierte und den Ex-Militär zum Aufgeben zwang.

Heute geht es noch globaler zu mit nicht minder brutalen Auswirkungen. Ein Klassiker ist der Verkauf von künstlicher Babynahrung. Der falsche und unzureichende Einsatz von Muttermilchersatz führte laut UNICEF zu mindestens einer Million Todesfällen. In diesem Fall jedoch ist sehr fraglich, ob kritische Aktionen von Konsumenten zu einer Verbesserung der Situation geführt haben. Denn noch 2012 kaufte Nestlé als einer der Hauptproduzenten von Babynahrung denselben Bereich des amerikanischen Konkurrenten Pfizer für immerhin 12 Milliarden Dollar. Was Nestlé wohl kaum getan hätte, wäre das Geschäft nicht immer noch einträglich. Auf den Punkt bringt es folgendes Zitat: „“Was für einen Boykott meinen Sie?“ fragt der Deutschlandsprecher des Konzerns im Juni 2012 bei einem Telefonat. Ihm sei kein aktueller bekannt.“ (S. 51)

Schnell wird klar: Konsumentenverhalten kann sehr erfolgreich sein, aber eben auch nicht. Als Shell die Bohr- und Verladeplattform Brent Spar nach dem Ablauf der Betriebsgenehmigung einfach in der Nordsee versenken wollte (ich bin fasziniert von dieser absolut unfassbar dreisten und asozialen Idee), ging ein Proteststurm los, ein Shit-Storm, noch bevor es dieses Wort in der heutigen Ausprägung gab. Letztlich musste Shell nach langem Hin und Her aufgeben. Ganz anders hingegen die Proteste gegen Dow Chemical, die vor allem durch ihr großartiges Produkt „Agent Orange“ bekannt wurden. Solange die Armee das Produkt abkaufte, hatten Bürger keine Chance auf echten Einfluss. Womit ein bedeutsamer Unterschied klar wird: Boykott wird nur sehr unwahrscheinlich erfolgreich sein, wenn es sich um ein B2B Produkt handelt, dass bekämpft wird.

Besonders problematisch wird es mit dem kritischen Konsumentenverhalten, wenn tatsächlich das eigene, tägliche Verhalten, wenn lieb gewonnene Gewohnheiten geändert werden müssen. Ein solcher Bereich ist unsere Ernährung. Wir alle wissen um die Probleme, die Fleischkonsum mit sich bringt, vor allem, wenn die leckeren Steaks, Würste und Buletten auch schön billig sein sollen. Niemand, der halbwegs bei Verstand ist, wird es als appetitanregend erleben, wenn er einen Blick in eines der Massentierhaltungsschlachhäuser werfen würde. Nein, das wird schön ignoriert, damit weiter gegrillt werden kann. (Mehr speziell dazu → „Tiere essen“ und „Vegan für alle„)

Letztlich wird klar, dass engagiertes Konsumentenverhalten alleine nur sehr bedingt ein starker Hebel gegen unmenschliche Wirtschaft ist. Boykottvarianten und sonstiges kritisches Konsumentenverhalten sind nur ein Puzzlestein auf dem Weg zu einer besseren Welt, einer menschlicheren Wirtschaft. Es braucht auch konzertierte Initiativen, ermöglicht durch Organisationen wie Attac oder Campact, um am Ende ausreichenden demokratischen Druck auf Politiker auszuüben, die dann ihrerseits längst überfällige Gesetze ohne lobbyistisch geprägte Copy-Paste Absurditäten auf den Weg bringen.

Fazit: Dieses Buch sollte in keiner Bibliothek kritischer Konsumenten fehlen. Es macht klar, wie wir erfolgreich gegen Konsumterror und asoziales Wirtschaften auf Kosten der Gemeinschaft handeln können.

Herzliche Grüße

Andreas Zeuch

 

Dohmen, C. (2014): Otto Moralverbraucher. Vom Sinn und Unsinn engagierten Konsumierens. orell füssli. Paperback, 224 Seiten. € 18,95

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