Mythos Fachkräftemangel

Liebe Leserinnen und Leser!

Anfang der Woche erreicht mich das mittlerweile schon öfter besprochene, brandaktuelle Buch von Martin Gaedt. Fachkräftemangel – ja, dass hatte natürlich auch ich schon gehört. Und geglaubt. Hatte mich durch die gebetsmühlenartige Behauptung, die uns omnipräsent untergejubelt wird, ebenfalls überzeugen lassen. Und da kommt jetzt Martin Gaedt und behauptet, dieser Mangel wäre hausgemacht? Würde eigentlich gar nicht existieren? Das klingt spannend, provozierend. Einerseits. Andererseits war mir nicht klar, warum ich das Buch hier in meinem Blog empfehlen soll, selbst wenn ich es gut finde. Aber schon nach den ersten Seiten wurde klar: Und ob es hierher gehört. Warum, dass werdet Ihr schnell merken.

Gaedt 2014 - Fachkräfte

Martin Gaedt hat ein kreatives, bewegtes Leben vorzuweisen. Ich habe ihn über Twitter kennengelernt, glaube ich. Die Bekanntschaft ist noch virtuell, aber stark genug, um ein klares Gefühl zu haben: Das ist jemand, der es ernst meint und etwas bewegen will. Und das beweist er jetzt einmal mehr mit diesem Buch. Gaedt steigt mit einer schönen Metapher ein, einer Geschichte aus seinem Leben: 1988 organisierte er in Ostberlin Parties für Westberliner. Von denen wurde er gefragt, warum er dies mache, da sei „doch alles grau“. Nachdem die Westberliner dann doch jenseits der Mauer waren, stellten sie überrascht fest: „Die sind genauso wie wir! Hören dieselbe Musik, reden über dieselben Themen, tragen coole Klamotten. Das hatten wir uns ganz anders vorgestellt.“ (S. 7). Ein treffendes Bild, um zu verdeutlichen, dass wir Menschen uns auch dann eine Meinung bilden, wenn wir eigentlich gar nicht hinter die Mauer geblickt haben. Und genau so verhält es sich mit dem angeblichen Fachkräftemangel.

Der erste Grund, warum die eigentlich vorhandenen Fachkräfte bei den suchenden Unternehmen gar nicht ankommen, ist einfach aber bestechend: Die Firmen, die suchen, sind nicht sichtbar. Klar, wenn man vor den Unternehmen steht, nimmt man sie wahr. Aber nicht darüber hinaus. Da kennen wir nur die üblichen verdächtigen, all die schillernden Blue Chip Unternehmen, die großen Konzerne. Aber was ist mit all den kleinen und Kleinstunternehmen, oder den Hidden Champions, von denen wir in Deutschland so viele haben. Unternehmen, die mit ihren Produkten im Weltmarkt oft eine führende Rolle spielen. Diese Unternehmen  werden von den suchenden nicht gefunden, weil sie zunächst unbekannt sind. Insgesamt gibt es, so Gaedt, 3,6 Millionen (!) Unternehmen in Deutschland. Die meisten offenen Stellen haben dabei Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern – und die sowie durchaus auch viele größere, befinden sich unterhalb des Radars der Suchenden.

Der hauseigene Trailer für das Buch. Toll gemacht.

Nun könnte man kritisch annehmen: Die Jobsucher suchen eben lausig. Oberflächlich. Im Einzelfall mag das stimmen. Aber nicht in der Masse. Das nächste Problem ist vielmehr ein lausiges Personalmarketing seitens der Unternehmen. Gaedt moniert völlig zu recht, dass in viele, vielleicht sogar die meisten Produkte oder Dienstleistungen eine Menge investiert wird, um sie erfolgreich zu vermarkten. Dazu gehört auch, den potentiellen Käufern klar zu machen, was das Besondere und Großartige an diesen Produkten und Dienstleistungen ist. Aber sich selbst als Arbeitgeber verkaufen? Fehlanzeige. Was macht ein Unternehmen als Arbeitgeber lohnenswert? Darum kümmert sich kaum ein Unternehmen, schließlich herrscht immer noch eine altvordere Gutsherrenmentalität: Die Bewerber haben sich bisher scharenweise um die Stellen gerissen, vielen wurde abgesagt und das wurde dann obendrein noch als Qualitätsmerkmal des Unternehmens angepriesen. Womit wir beim nächsten fundamentalen Problem wären:

So gut wie alle Unternehmen sagen immer noch fast allen Bewerbern auf eine Stelle ab. Und schaffen damit viel Frust, Enttäuschung und vor allem: Viel negatives Image. Gaedt verdeutlich das völlig ungleiche Verhältnis von persönlichem Einsatz bei den Bewerbern auf der einen Seite und dem unpersönlichen, standardisierten Vorgehen der Unternehmen auf der anderen Seite. Absagen sind normiert. Nehmen den Bewerber nicht wirklich ernst und schon gar nicht als einzelnen Menschen wahr. Das Fatale für die Suchenden und unter dem Fachkräftemangel stöhnenden Unternehmen: „Ein negatives Erlebnis wird im Schnitt achtmal weitererzählt“. Das macht bei 50 Absagen bereits 400 Menschen, die schlecht über das Unternehmen denken und es vermutlich auf Anfrage sogar weitererzählen. Wow, da schießen die verantwortlichen Personaler dem eigenen Unternehmen erfolgreich gleich in beide Knie. Volltreffer!

Und weiter: Viele Unternehmen kümmern sich nicht um eine attraktive Unternehmenskultur. Gaedt zitiert den Gallup Engagement Index 2012, der zeigte, dass nur 15% der deutschen Angestellten wirklich mit Herz und Freude bei Ihrer Arbeit sind. Die Gründe dafür sind  mit dem Arbeitsklima verbunden, mit dem Verhältnis zum direkten Vorgesetzten und das Erleben, nicht gemäß den eigenen Fähigkeiten eingesetzt zu werden. Eine andere Studie von Tomorrow Focus Media brachte zutage, dass 98,3% der Befragten sich ein gutes Arbeitsklima wünschen. Und dazu gehört unter anderem, auch selbst mehr Verantwortung übernehmen zu dürfen und mitgestalten zu können.

Aber was ist mit der Agentur für Arbeit? Immerhin ackern dort über 108.000 Mitarbeiter und versuchen, Menschen in Arbeit zu bringen. Tja, Fehlanzeige. Denn eigentlich ist es eher eine Agentur für Arbeitslosigkeit. Die Agentur will sich natürlich nicht selbst überflüssig machen und die eigenen Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit entlassen müssen, wenn denn mal alle Menschen, die arbeitsfähig und -willig sind, tatsächlich untergebracht wären. Außerdem werden die Mitarbeiter in den Job-Centern von kafkaesken Vorschriften, Gesetzen, Anweisungen überschüttet: In den ersten elf Monaten des Jahres 2012 erhielten die Mitarbeiter lockere 129 Handlungsempfehlungen, 118 interne Email-Infos und 84 Verfahrensinformationen. Machte in Summe 921 Seiten plus, denn das wäre ja noch machbar, 84 Seiten pro Monat, 8105 Seiten Anlagen. So sieht staatlich getragene Effizienz aus. Gaedt kann als Unternehmer selbst ein Lied davon singen, welcher Schwachsinn dabei am Ende rauskommt.

Und so geht es weiter, mit den Abgründen, die Gaedt sichtbar macht. Dankenswerter Weise, auch wenn es einen unglaublich verärgert, all diesen Wahnsinn plötzlich auf dem Schirm zu haben. Nun ist Gaedt aber eben keiner der jammert, sondern genau davon abgeschreckt ist. Er ist ein Macher, eben Unternehmer. Und das zeigt sich in vielfältigen, kreativen und äußerst intelligenten Ideen, wie es anders gehen kann. Und zwar sehr erfolgreich. Nicht einmal, nicht zweimal, keine Erfolgseintagsfliegen, sondern über Jahre entwickelte neue Ansätze. Wenn Unternehmen nur die Hälfte davon umsetzen würden, wäre das Problem des „Fachkräftemangels“ schon fast gelöst. Es ist möglich, nicht nur theoretisch, sondern in der täglichen Praxis. Aber dafür müssen alle Beteiligten lernen, umzudenken. Die Welt dreht sich weiter, da helfen heute nicht mehr die Lösungen aus dem letzten Jahrhundert. Gaedts erprobte Ideen sind Gold wert. Bleibt zu hoffen, dass das Buch ein Bestseller wird. Es würde die Arbeitswelt ein Stück besser machen. Schließlich wollen die meisten von uns sinnvolle Arbeit in einem angenehmen Umfeld. Und wir leiden darunter, wenn wir sie nicht leisten können. Das ist ebenso meine wie Martin Gaedts Meinung.

Fazit: DAS Buch für alle Geschäftsführer und Vorstände, die bei sich einen Fachkräftemangel feststellen. Kaufen, Lesen, Umsetzen.

Herzliche Grüße

Andreas Zeuch

 

Gaedt, M. (2014): Mythos Fachkräftemangel. Was auf Deutschlands Arbeitsmarkt gewaltig schiefläuft. Wiley. Hardcover, 240 Seiten. 19,99€

 

Interview mit Martin Gaedt in der Wirtschafts Woche.

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  1. […] Gaedt lernte ich 2014 kennen, als ich sein Buch “Mythos Fachkräftemangel” rezensierte. Wir trafen uns in dem Zusammenhang damals auch in Berlin und lernten uns so […]

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