Leading with Life

Liebe Leserin, lieber Leser!

 

Gleich vorweg: Ich bin der Falsche, um dieses Buch zu rezensieren. Zur Bonsen und seine beiden Ko-Autorinnen Jutta Herzog und Myriam Mathys laufen bei mir offene Türen ein. Da sie ziemlich identische Werte und eine mir sehr nahestehende Sicht auf Unternehmen und Organisationen haben, fällt es mir schwer, mit professioneller Distanz auf Ihr Werk zu blicken. Trotzdem erlaube ich mir, diese Buchbesprechung mit anschließender Empfehlung.

 

Dieses Buch liefert einen weiteren Beitrag dazu, längst überfällige Vorstellungen und Scheingesetze des „wissenschaftlichen“ Managements und der erfolgreichen Unternehmensführung zu hinterfragen. Oder eher zu dekonstruieren. Dies geschieht vor allem in den ersten drei Kapiteln. Die Autorinnen und der Autor machen deutlich, dass die üblichen tayloristischen Prinzipien nur dazu führen können, wirkliche Hochleistung voller Leidenschaft und Freude zu verhindern
Die arbeitsteilige „Separierung verhindert Zusammenarbeit für das Ganze“, „Mitarbeiter werden nur als Teile gesehen“, „Stabilisierung verhindert Flexibilität“ (die ja sogar überlebenswichtig ist), „Spezialisierung lässt Potentiale der Mitarbeiter brach liegen“, „Standardisierung hindert Handlungsspielraum ein“, „die Suche nach der richtigen Struktur lähmt die Organisation“ (kennen wir das nicht alle: Die unendlichen Change-Prozesse, die kurz und bündig, wissenschaftlich fundiert sogar so beschrieben werden können: → Change macht krank!); „Performance-Management-Systeme mindern die Performance“ und „einschränkende Vorgaben ersticken menschliche Energie“. Das ist für manch einen schon kaum zu ertragen. Für andere sind die Alternativen ein Hoffnungsschimmer: Befreiende Strukturen schaffen.

Ab dem vierten Kapitel geht es dann in die Welt zukünftiger, lebendiger Unternehmen. Ein wichtiger Schritt dazu besteht darin, sich mit der „Kern-Energie“ des Unternehmens zu verbinden. Es geht nicht nur um die Fragen danach, welchen einmaligen Nutzen ein Unternehmen mit Leidenschaft seinen Kunden bieten will. Die Autoren haben den Mut noch einen Schritt weiter zu gehen: In welcher Weise will ein Unternehmen mit Leidenschaft der Menschheit dienen? Das klingt nach weltfremder Romantik, nicht nach nützlicher unternehmerischer Einsicht. Aber natürlich untermauern zur Bonsen und seine Mitautorinnen Ihre Sicht: 
Zum Beispiel mit Konosuke Matsushita, der nicht trotz, sondern wohl eher wegen seines Idealismus mit Marken wie Panasonic ökonomisch äußerst erfolgreich war. Und sie kommen unter anderem zu dem wichtigen Ergebnis, dass die grundlegende Strategie eines Unternehmens durch die Kern-Leidenschaft bestimmt wird und „nie wirklich durch einen rationalen Prozess gefunden werden (kann), wie es uns die vielen Bücher über Strategie weismachen wollen.“ (S. 83) Dem kann ich als Berater für effektive Entscheidungskultur nur beipflichten, vermisse allerdings das an dieser Stelle logische und nötige Plädoyer für den Wert der Intuition in der Strategieentwicklung. Natürlich findet der Leser auch hier praktische Hinweise, wie man diese Kern-Leidenschaft im Unternehmen freilegt, sie ergründet und wie einen Schatz hebt. Dieser Weg ist durchaus steinig, führt dann aber zumindest näher an die unternehmerischen Sterne, als der immer noch übliche Selbstbetrug.

Sehr fragwürdig ist dann jedoch die Einführung der sieben unternehmerischen Bewusstseinsstufen nach Richard Barrett. Diese aufeinander aufbauenden Stufen sind ausgesprochen fragwürdig: Erstens gibt es genügend Unternehmen, die von Anfang an Kunden, Mitarbeiter und Partner nicht nur als Mittel zum Zweck sehen, sondern sofort „dem Leben dienen“ wollen, was bei Barrett erst die siebte, evolutionär höchste Stufe darstellt. Zweitens gibt es Unternehmen, die sich nicht vom rücksichtslosen Wirtschaften hin zum ethisch integren Unternehmen entwickeln, sondern eine umgekehrte Entwicklung durchlaufen. Andere Unternehmen wiederum werden einfach auf einer Stufe verharren und irgendwann wieder vom Markt verschwinden. Es ist wie immer mit solchen „Systemen“: Sie kranken an ihrem totalitären Anspruch, das Leben in eine Schema zu pressen. Genau das wundert mich: Das die Autoren hier für einen Moment eben jenem Prinzip erliegen, dass sie selbst zuvor überzeugend demontiert haben.

Im weiteren Verlauf geht es darum, im Unternehmen eine Gemeinschaft zu formen, die als Gemeinschaft auch entscheidet. Damit knüpft zur Bonsen ohne es zu benennen bei James Surowiecki und dessen wegweisender Arbeit „Die Weisheit der Vielen“ an. Unter bestimmten Bedingungen sind Entscheidungen, die von vielen getroffen werden, wesentlich zieldienlicher, als von einzelnen Experten (→ „Der Mob ist tot„). Damit wird das Fundament eines weiteren machterhaltenden Mythos zerstört: Die Expertokratie einiger weniger, die sich selbst inthronisiert haben, um die großen, wegweisenden Unternehmensentscheidungen alleine zu treffen. Ihr ahnt es: Auch dafür gibt’s in diesem Buch Fallbeispiele.

Später präsentieren die AutorInnen auch viele erprobte praktische Ideen und Methoden, um Lebendigkeit in Unternehmen freizusetzen. Dies sind nicht nur bekannte Methoden wie Open Space oder Dynamic Facilitation, sondern auch kleine Rituale von Unternehmensführern wie Wolfgang Gutberlets „Stehung“ – anstelle der üblichen Sitzung. Gegen Ende knüpft zur Bonsen noch beim Konzept Beyond Budgeting an, dass natürlich bestens zum Ansatz der Autoren passt. dm-drogerie markt, Semco oder die Svenska Handelsbanken können nicht nur als Prototypen eines gelungenen Beyond Budgeting herhalten, sondern auch ein Bild davon vermitteln, wie erfolgreich „Leading with Life“ in der Praxis sein kann.

Zum Schluss ein kritisches Wort zur Ausstattung des Buches: Es ist bei Gabler verlegt – einem Verlag, der sich nicht gerade durch ein leidenschaftliches Design seiner Bücher auszeichnet. Buchcover, Format und Druckbild hinterlassen keinen besonders lebendigen Eindruck. Die eigentlich schönen Aquarelle von Markus Wortmann, die in Verbindung mit Zitaten von Saint-Exupéry das Buch bereichern, verblassen grau in grau. Außerdem werden engagierte Leser möglicherweise ein Stichwortverzeichnis vermissen, was sich durchaus gelohnt hätte. Ein so anregendes Werk hätte einen anderen Auftritt verdient.

FazitDieses Buch empfehle ich jedem Geschäftsführer, Inhaber oder Vorstand und allen anderen Menschen, die sich zutrauen, einen entsprechenden Wandel anzustoßen. Es ist eine Pflichtlektüre für alle, die der Meinung sind, dass Arbeit kein Muss ist, kein Wermutstropfen, den uns unsere monetäre Gesellschaft einträufelt; ein Buch für alle, die fest davon überzeugt sind, dass Arbeit uns vielmehr erfüllen sollte, Sinn machen sollte und ein Baustein zu einem noch besseren Leben ist.

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

Zur Bonsen, M. (2009): Leading with Life. Lebendigkeit im Unternehmen freisetzen und nutzen. Gabler. Gebunden, 273 Seiten. 42,95 €

 
0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert