Drive

Liebe Leserinnen und Leser!

Was motiviert uns? Warum leisten wir, warum nicht? Und wie können wir diese Motivation beeinflussen? Können wir das überhaupt? Nach bisherigen Vorstellungen der erschlagenden Mehrheit der Arbeitgeber und der meisten Wirtschaftswissenschaftler zieht vor allem ein simpler Mechanismus: „Wenn-Dann“ Belohnungen in Form von Geld und geldwerter Vorteile: Wenn Du das und das leistest, wenn Du dieses Ziel erreichst oder übertriffst, winkt ein ordentlicher Batzen Geld, eine luxuriöse Reise, ein größerer Dienstwagen oder oder. Diese ebenso primitive wie vor allem sachlich falsche Vorstellung, die nichts weiter als ein Aberglaube ist, läuft dann noch unter dem Etikett „wissenschaftliche Betriebsführung“. Peinlich, denn die relevanten Wissenschaften, die Motivationen und Ihre Ergebnisse experimentell überprüft haben, sagen etwas ganz anderes und das nicht erste seit gestern Nacht. Von dieser Kluft zwischen wissenschaftlich geprüftem Wissen und Bussinessmärchen handelt Pinks Buch.

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Es beginnt mit einem Bericht über zwei Experimente, die eine Weile zurückliegen und zu äußerst merkwürdigen Ergebnissen führten. Denn die zeigten das genaue Gegenteil dessen, was bis dahin über unsere Motivation angenommen wurde.

  • Der amerikanische Psychologieprofessor Harry Harlow legte 1949 mechanische Puzzles in Käfige mit Rhesusaffen. Dieser Schritt diente eigentlich nur der Vorbereitung eines Experiments zur Problemlösefähigkeit zwei Wochen später. Tatsächlich begannen die Affen aber unmittelbar mit dem Puzzle und lösten es im Laufe der Zeit immer besser, weil sie offensichtliche Freude bei der Beschäftigung mit dem Puzzle erlebten. Kein biologisch-körperlicher Antrieb war mit den Puzzles verknüpft und auch ebensowenig das zweite große Antriebssystem der externen Belohnung oder Bestrafung. Harlow und sein Team waren verblüfft. Sie versuchten dann mit Belohnung durch Rosinen die Motivation der Affen zu steigern. Allerdings führte die extrinsische Motivation zu einer Reduktion der Erfolge und erhöhte die Fehlerquote!
  • 20 Jahre später stieß der Doktorand Edward Deci auf Harlows Ergebnisse (die dieser selbst nicht gegen die bestehenden wissenschaftlichen Motivationstheorien verteidigen wollte) und entwickelte daraus ein weiterführendes Experiment mit Menschen. Die Versuchsteilnehmer hatten eine dreidimensionale Puzzleaufgabe und wurden in zwei Gruppen unterteilt: Eine Gruppe wurde beim ersten Durchlauf nicht belohnt, im zweiten belohnt und im dritten wieder nicht belohnt. Die zweite Gruppe erhielt bei keinem der drei Durchläufe eine Belohnung. Im zweiten Durchlauf zeigte sich ein kurzfristige Motivationssteigerung bei der bezahlten Gruppe. Im dritten Durchlauf jedoch zeigte sich etwas äußerst Wichtiges: Die Bezahlgruppe war nicht nur weniger motiviert als die nicht bezahlte Gruppe, sondern fiel hinter ihr eigenes Motivationsniveau im ersten Durchlauf zurück. Sprich: Belohnungen können kurzfristig Motivation erhöhen, langfristig jedoch zerstören.

In diesen beiden betagten Experimenten steckt bereits ein großer Teil der relevanten Information drin, wenn wir die eingangs gestellten Fragen beantworten wollen. Es gibt neben dem biologisch körperlichen Motivationssytem (Essen, Trinken, Sexualität) nicht nur ein zweites (externale Motivation in Form von Belohnung und Bestrafung), sondern auch ein drittes, das Harlow damals „intrinsische Motivation“ nannte. Heute, über 60 Jahre später, können wir noch ein paar wichtige Punkte ergänzen.

Warum ist die Pinksche Motivation 2.0, also Zuckerbrot und Peitsche, heute nicht nur ineffektiv sondern zum Teil sogar zerstörerisch geworden? Vermutlich gab es die intrinisische Motivation schon vor 100 Jahren. Sie dürfte wohl kaum aus einem evolutionären Sprung seit dem enstanden sein. Die Antwort liegt in der veränderten Arbeitswelt. Belohung und Bestrafung wirkt da, wo wir repetetive, klaren Regeln folgende Aufgaben wie Fließbandarbeit zu erledigen haben. Da diese Aufgaben an sich so ziemlich nichts Erfüllendes haben, sondern vielmehr zu nachweislicher Verdummung und Abstumpfung führen, ist Geld der einzige Beweggrund, diese Arbeit zu erledigen. Die extrinsische Motivation ist Schmerzensgeld. Deshalb führt mehr Geld zu mehr Motivation. Allerdings werden immer mehr dieser Arbeiten automatisiert und wir können davon ausgehen, dass dieser Trend eine Weile anhalten wird – mindestens solange, bis wir uns gegen das augenblickliche Fremdversorgungssystem entscheiden (vgl. →“Befreiung vom Überfluss„). Im Gegenteil: Mittlerweile werden sogar Aufgaben aus dem Dienstleistungssektor automatisiert (Bankautomaten, Paketstationen…). Und doch ist die Dienstleistungsarbeit, die unser kreatives Denken benötigt, genau die Grenze, jenseits der extrinsische Motivation nicht mehr greift. Und mehr noch: zu erheblichen Problemen führen kann und damit auch ökonomisch zerstörerisch ist. Folgende Effekte von Zuckerbrot und Peitsche sind samt und sonders sowohl experimentell als auch aus der unternehmerischen Praxis belegt:

  • „Sie können die intrinsische Motivation auslöschen (wie in Decis Experiment gezeigt, AZ)
  • Sie können die Leistung schmälern (wie Harlow schon zeigte, AZ)
  • Sie können die Kreativität vernichten
  • Sie können wohlwollendes Verhalten verdrängen
  • Sie können Betrügereien, Abkürzungen und unethisches Verhalten unterstützen (insbesondere in Verbindung mit Zielvereinbarungen, →“Führen mit flexiblen Zielen„. Stichwort: Boni und Finanzkrise 2007)
  • Sie können abhängig machen (tatsächlich genauso wie substanzinduzierte Abhängigkeit, AZ)
  • Sie können das Kurzzeitdenken fördern.“ (S. 57*)

Wer als Dienstleister seinen Erfolg minimieren will, sollte also unbedingt weiterhin die tägliche Arbeit zielgebunden über Wenn-Dann Belohnungen finanziell entlohnen. Wer eventuell doch lieber seinen Erfolg steigern möchte, sollte davon ablassen und einfach ein leicht über dem Branchendurchschnitt liegendes Gehalt zahlen. Das führt zwar kurzfristig zu mehr Kosten, senkt diese aber mittelfristig, weil die Angestellten dies positiv erleben und somit weniger oft krank sind und seltener den Arbeitgeber wechseln.

Es gibt aber noch eine wichtige weitere Erkenntnis: Die intrinisische Motivation setzt sich aus drei Teilbereichen zusammen:

  • Selbstbestimmung,
  • Perfektion (im englischen Original viel besser Mastery, also eigentlich Meisterschaft)
  • Sinnerfüllung

In einer kaum noch zu überblickenden Anzahl an Experimenten wurden diesen drei Aspekte herausgearbeitet und sichtbar gemacht. Wenn Menschen ihre Arbeit selbst bestimmen dürfen und können, werden sie zumeist motivierter und leistungsfähiger. was Pink mit diversen Unternehmensbeispielen illustriert. Werden sie fair und gut, also über Branchendurchschnitt bezahlt, geben sie sich ihrer Arbeit dergestalt hin, dass sie die Arbeit an sich als erfüllend sehen und nach Meisterschaft streben. Letztlich sollte die Arbeit für diejenigen, die sie ausüben, sinnvoll sein. Gebhard Borck hat dies bislang am besten in seinem Konzept der „Sinnkopplung“ herausgearbeitet (→“Affenmärchen„). Pink beschreibt, wie das Konzept „Gewinnmaximierung“ um die subjektive „Sinnmaximierung“ ergänzt wird.

Nach den ersten beiden Teilen des Buches folgt ein dritter, durch und durch nützlicher und intelligenter Teil rund um die intrinisische Motivation. Dort finden sich ein Werkzeugkasten, eine Leseliste, eine Querdenkerliste, ein Fitnessplan und schließliche eine mehrstufige Zusammenfassung des Buches und ein Glossar. Pink hat auch hier ganze Arbeit geleistet, denn die zwei Zusammenfassungen dienen insbesondere der Verbreitung seines Buches (einmal als Tweet und einmal gewissermaßen als Elevator Pitch für Parties!)

Pinks Erfolg als Autor gründet sicher auch auf griffigen Formulierungen. Und die haben ihren Preis, den er nicht zahlen muss. Er externalisiert gewissermaßen intelektuelle Kosten. Wenn er von Motivation 1.0 (biologische Antriebe), 2.0 (Belohnung und Bestrafung) und 3.0 (intrinsische Motivation) spricht, dann suggeriert er einen Maschinenvergleich. Schließlich sind dies die unterschiedlichen „Betriebssysteme“ in unserem Gehirn. Allerdings weist das ein paar fundamentale Unterschiede zu Computern auf, wie zum Beispiel die Tatsache, dass Computer vergessen können, indem wir Daten endgültig löschen – wir selbst können aber keineswegs bewusst und intendiert Daten von unserer „Festplatte“ löschen. Mit viel Anstrengung verdrängen wir sie ins Unbewusste, von wo aus sie dann umso virulenter weiter wirken.

Ein paar Aspekte sind einigermaßen befremdlich bis belustigend. Wenn Pink ein ehemaliges Vorstandsmitglied und späteren Investor von McDonalds zitiert und der es positiv findet, dass Kunden immer öfter vom Unternehmen erwarten, dass sie „einen wichtigeren Zweck erfüllen als ihr Produkt“ (S. 127); oder darüber berichtet, wie eine Gruppe von elitären Harvard-MBA Studenten immer noch in altvorderen Führungsmodellen und Menschenbildern denkt und dies jedoch als neuen, weltverbesserischen Verhaltenskodex ausweist: „…dass die Welt durch unsere Führung besser geworden ist.“ (S. 132); oder wenn er begeistert den „Sagmeister“ als periodisch alle 5 Jahre wiederkehrendes Sabbatical vorschlägt, dass durch den beispielhaften Verzicht auf den neuen Flatscreen-Fernseher finanziert werden kann…

Fazit: Jeder Unternehmer, jeder Vorstand und alle, die wissen wollen, was ihre Mitarbeiter wirklich motiviert, sollten dieses Buch lesen und den Werkzeugkasten nutzen. Unbedingt, ohne wenn und aber.

Herzliche Grüße

Andreas Zeuch

 

Pink, D. (2010): Drive. Was Sie wirklich motiviert. Ecowin. Gebunden, 240 Seiten. 21,90 €

2 Kommentare

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  1. […] erstens extrinsische Motivation generell erfolgreich sei und zweitens überhaupt nötig (→”Drive“). Da muss sich durch die Hintertür ein klein wenig Taylorismus eingeschlichen haben, sonst […]

  2. […] sind, wenn Sie eine für sich sinnvolle Tätigkeit ausüben (→Sinnkopplung, vgl. auch →”Drive“); oder das Menschen nach Selbstbestimmung streben und dass wir alle auf die eine oder andere […]

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