Befreiung vom Überfluss

Liebe Leserinnen und Leser!

Ich fühlte und fühle mich ertappt. Niko Paech hat etwas geschafft, was bislang nur wenigen gelungen ist. Er hält mir den Spiegel vor und motiviert mich, mein Leben weiter zu entrümpeln, zu entschlacken und zu befreien von all dem krank erwirtschafteten Wohlstandsballast. Seit ich das Buch gelesen habe, blicke ich anders auf bislang positiv bewertete Technologien und Entwicklungen. Das macht mein Leben leider nicht einfacher, aber es sorgt dafür, klarer zu sehen und nach besseren als bisherigen Lösungen zu suchen. Und das geht jeden an, der echte sozial-ökologische Nachhaltigkeit will.

Zunächst eine erfreuliche Nachricht: Das Buch ist schnell gelesen, es umfasst inklusive Literaturverzeichnis, Dank und einer Autorenvorstellung nur 155 Seiten verteilt auf sechs Kapitel und ein Fazit. Aber diese Seiten haben es in sich. Paechs Argumentation ist erfreulich und zugleich erschreckend stringent. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie ausgehebelt werden kann. Und das wird vielen Wachstumsgläubigen gar nicht gefallen. Aber es ist dringend an der Zeit, eine der größten und hartnäckigsten Ursachen unserer heutigen Probleme von vielen verschiedenen Seiten her zu untersuchen und ihre Irrtümer zu entlarven.

Zu Beginn finden die LeserInnen die drei Hauptthesen des Autors:

  1. Wachstum ist das Ergebnis einer „umfassenden ökologischen Plünderung“ (S. 10). Diese beruht auf einer dreifachen Entgrenzung: a) Zeitlich – wir leben kollektiv über unsere aktuellen Möglichkeiten hinaus. Das Ergebnis: Verschuldung, die wiederum zu Wachstum zwingt, um die durch Zinseszinseffekte steigende Schuldenquote abzubauen. b) Körperlich – wir leisten uns mehr, als wir selbst körperlich erarbeiten könnten. Das ist Ursache und Ergebnis einer Fremdversorgungswirtschaft, die uns extrem abhängig und verletzlich macht. c) Räumlich – wir leisten uns mehr, als durch regionale Ressourcen möglich wäre. Das wiederum führt zu und folgt aus einer immer weiter zunehmenden Spezialisierung, die heute in Form globaler, immer komplexerer Produktionsketten in Erscheinung tritt.
  2. Wirtschaftswachstum kann durch technische Innovationen unmöglich von ökologischen Folgeschäden entkoppelt werden. Dazu führt Paech im Laufe des vierten Kapitels die verschiedenen Formen der Rebound- und Backfire-Effekte aus: Materiell, finanziell, psychologisch und politisch.
  3. Eine Postwachstumsökonomie ist mehr als Verzicht. Zwar müssen wir die industrielle Produktion drastisch reduzieren, erhalten aber im Gegenzug eine deutlich erhöhte Stabilität (Resilienz) und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit auf wahrhaftigeres subjektives Glückserleben.

Im ersten Kapitel macht Paech deutlich, dass der Glaube an ein unabdingbares Wirtschaftswachstum interessanterweise eine der wenigen Positionen ist, die von allen politischen Lagern gleichermaßen geteilt wird. Damit verweist Paech genauso wie Meinhard Miegel in seiner WachstumskritikExit. Wohlstand ohne Wachstum“ (Rezension folgt hier demnächst) auf dasselbe Phänomen eines universellen, alle politischen Lager übergreifenden Fehlurteils. Süffisant stellt er im Rahmen der Eurokrise klar: „Gemessen am schwarzmalerischen Lamento amtlicher EU-Lobbyisten müsste Deutschland vor Einführung des Euro eine von allen Außenbeziehungen abgeschiedene auf einem erbarmungswürdigen Versorgungsniveau dahinvegetierende Armutsökonomie gewesen sein.“ (S. 14). Denn Rettungsschirme wären zwar teuer und ihr Erfolg keineswegs gesichert, aber die Rückkehr zu D-Mark als Alternative sei für Deutschland als Exportland noch viel katastrophaler. Schließlich würde das BIP dadurch sinken, weil wir weniger exportieren könnten, da der Zusammenbruch der Eurozone eine Aufwertung der D-Mark im Vergleich zum sinkenden Wert anderer Währungen zur Folge hätte. Grauenhaft, wir würden vermutlich wirtschaftlich schrumpfen. Und das geht gar nicht. Der jetzige Lebensstandard kann natürlich keineswegs reduziert werden, weil wir dann sofort alle hungern und in Erdlöchern hausen würden (mein Horrorszenario).

Das aus meiner Sicht wichtigste Argument möchte ich noch darstellen, mehr geht hier nicht, denn das Buch ist zwar kurz, aber dafür um so dichter geschrieben, was schon eine enorme Leistung an sich ist (und davor ziehe ich meinen Hut, schließlich hab ich selbst immerhin schon vier Bücher veröffentlicht). Paech macht deutlich, dass wir uns eine Welt von Fremdversorgung aufgebaut haben, die mit der Delegation vieler wichtiger Arbeiten und Produktionen extrem anfällig für Störungen wird. Wir haben unseren eigenen Teufelskreis geschaffen: Wir arbeiten hoch spezialisiert und kaufen die meisten der must-have und nice-to-have Leistungen ein. Dazu müssen wir Geld verdienen, was uns wiederum weiter in die eigene Spezialisierung treibt. Das führt im nächsten Schritt dazu, „dass die Auswahl der Kaufoptionen geradezu explodiert, der Tag aber nach wie vor nur 24 Stunden hat…“ (S. 126). Somit wird Zeit zum knappsten Gut, wir müssen weiter delegieren und haben am Ende nicht mal mehr die Zeit, unsere Luxusgüter wirklich zu genießen. Schließlich wird Freizeit aufgefressen, um „Konsumgüter zu suchen, zu identifizieren, zu vergleichen, zu prüfen, zu kaufen, entgegenzunehmen und unterzubringen.“ (S. 127)

Vortrag von Niko Paech am 12.01.2011, Teil 1

Im sechsten Kapitel erklärt Paech, wie eine Postwachstumsökonomie realisiert werden könnte. Zunächst müssten wir strukturelle Wachstumszwänge abbauen, indem wir eine Ökonomie der Nähe kreieren. Dann wären folgende Schritte möglich:

  1. Transparenz und Vertrauen: Wenn die Konsumenten gleichzeitig Kapitalgeber der Produzenten wären und eine direkte Beziehung zwischen diesen Gruppen besteht, entsteht Transparenz und damit Vertrauen. Das wiederum senkt die zur Zeit steigende finanzielle Risikokompensation, da diese beiden Gruppen aktuell häufig oder meist anonym operieren.
  2. Empathie: Unmittelbare Beziehungen zwischen Marktakteuren, „die über anonyme Marktinteraktionen hinausgehen, erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Logik reiner Profit- und Kapitalertragsmaximierung … durchbrochen werden.“ (S. 115) An die Stelle der Anonymität tritt die Identifikation mit regionalen Bedürfnissen.
  3. Interessenkongruenz: Wenn Kapitalgeber gleichzeitig die Konsumenten der finanzierten Produktionen sind, würden gesteigerte Zinsansprüche unterbunden, da die damit verbundenen Gewinne mit kurzer Verzögerung durch steigende Preise wieder aufgefressen werden würden.
  4. Verwendungskontrolle: Wenn Kapitalgeber selbst über die Verwendung ihres Geldes bestimmen können, wären steigende Renditen und Zinsen überflüssig, da an die Stelle der Profitmaximierung Sinnkopplung tritt (meine Formulierung in Anlehnung an den Begriff der Sinnkopplung meines Kollegen Gebhard Borck).
Damit werden drei verschiedene Versorgungssysteme an Stelle der momentanen versorgungstechnischen Monokultur einer Fremdversorgung wichtig: „Entmonetarisierte Lokalversorgung“ (durch Eigenproduktion, Tauschwirtschaft), Regionalökonomien basierend auf zinslosen Komplementärwährungen und eine minimierte globale Arbeitsteilung.
Als Ersatz für bisherige Industrieproduktionen tritt kreative Subsistenz:
  1. Nutzungsintensivierung durch Gemeinschaftsnutzung. Standardbeispiel ist die Bohrmaschine, die keine Privatperson dauernd, ja nicht einmal häufig braucht. Genau dies lebe ich schon zum Teil und fahre gut damit.
  2. Verlängerung der Nutzungsdauer. Wir sollten pfleglicher mit Gütern umgehen, sie instandhalten und reparieren. Das geht sogar mit Hightech wie Smart-Phones, wie die Seite www.ifixit.com beweist! Auch hier konnte ich selbst bereits positive Erfahrungen sammeln, indem ich kleine Reparaturen selbst erfolgreich vorgenommen habe – ohne Elektrotechniker zu sein – und damit mein Smart-Phone im fünften Jahr nutze (die durchschnittliche Nutzungsdauer liegt bei 2,5 Jahren; Nachtrag April 2014).
  3. Eigenproduktion. Paech verweist völlig zu Recht auf das wichtigste Bedürfnisfeld: Ernährung. Wir können und müssen wieder dazu übergehen, selbst mehr von dem anzubauen, was wir verspeisen. Das ist eines meiner Ziele für dieses Frühjahr. Das geht nicht nur mit eigenem Garten, wie das Phänomen des zunehmenden „Urban Gardening“ belegt.

Aber damit nicht genug. Paech skizziert auch überzeugend, wie eine Postwachstumspolitik aussehen könnte und welche wichtigen Elemente in ihr vorkommen:

  1. Geld- und Finanzmarktreformen. „Wiederherstellung des staatlichen Vorrechts der Geldschöpfung“ (S. 135), Stärkung und Neugründung von Regionalwährungen und Genossenschaftsbanken und natürlich auch die Finanztransaktionssteuer.
  2. Bodenreform. Private Investoren sollten nicht Eigentums- sondern nur Pachtrechte erhalten, die mit einer Obergrenze ökologisch vertretbarer Nutzung verbunden werden.
  3. SkyTrust. Das Recht auf luftverschmutzende Emissionen sollte durch Ersteigerung von der Gemeinschaft erworben werden. Selbiges sollte natürlich auch für flüssige Emissionen gelten.
  4. Abbau von Subventionen. Dieses Steuerungsinstrument dient lediglich dazu, „eine Wachstumsmaschine in Gang zu halten, die sonst nicht mehr funktionsfähig wäre.“ (S. 136)
  5. Reform von Erziehung und Bildung. Zur Zeit bilden wir unsere Kinder, Jugendlichen und Studenten so, dass sie willige Rädchen im Wachstumsgetriebe sind. Es bedarf der Reflexionsfähigkeit „sein eigenes Leben im Hinblick auf globale Übertragbarkeit zu reflektieren“ (S. 138). Und es bedarf auch handwerklicher Fähigkeiten oder besser: Einfach manueller Improvisationsfähigkeit.
Am Ende des Buches gibt es bei aller Komplexität eine hervorragend schlichte Überblicksgrafik der Postwachstumsökonomie. 40 Stunde Arbeitszeit werden reduziert auf 20 monetäre Arbeitsstunden (damit durch die Reduktion der Produktion die damit verbundenen Arbeitsplatzverluste abgepuffert werden) und 20 entkommerzialisierte Arbeitsstunden. Der Monetäre Bereich gliedert sich in die globale Arbeitsteilung und regionale Ökonomien. Der entkommerzialisierte Teil besteht aus Suffizienz, sprich der Änderung der eigenen Haltung und Ansprüche und der Subsistenz, also der Eigenproduktion, Nutzenmaximierung, Nutzenverlängerung, Leistungstausch und gemeinnütziger Arbeit (dringend nötig, schließlich droht der Zusammenbruch von Pflege…).

Ihr seht: Es gibt reichlich Möglichkeiten, was wir anders machen können – und müssen, wenn wir einen Kollaps, der früher oder später kommen wird, stoppen wollen.

Fazit: Dieses Buch gehört in jeden Bücherschrank, egal ob real oder virtuell. In jeden Privathaushalt, in jede Stadt- und Universitätsbibliothek und auf den Schreibtisch jedes unternehmerischen Entscheiders. Pflichtlektüre. Für alle, die ernsthaft sozial-ökologische Nachhaltigkeit und damit Gemeinwohl wollen.

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

Paech, N. (2013): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. oekom. Gebunden, 155 Seiten. 14,95€

Weitere Quellen über und mit Niko Paech

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  1. […] “Veränderung des kapitalistischen Wirtschaftssystems.” (ebnd.) – New Work bedeutet nicht, den Kapitalismus abschaffen zu wollen, zurück zu sozialistischen oder kommunistischen Entwürfen, die bekanntermaßen in ihrer realen Form gescheitert sind. Es geht unter anderem um eine Transformation maximalen Konsums zu einer minimalen Variante (und darin gibt es große Ähnlichkeiten zum Entwurf von Niko Paech und seinem Buch “Befreiung vom Überfluss“) […]

  2. […] Münchner Nachhaltigkeitsverlag habe ich mittlerweile ja schon einige Bücher rezensiert (→”Befreiung vom Überfluss“, “Corporation 2020“, “Small is beautiful“). Jetzt ist es wieder […]

  3. […] solange, bis wir uns gegen das augenblickliche Fremdversorgungssystem entscheiden (vgl. →”Befreiung vom Überfluss“). Im Gegenteil: Mittlerweile werden sogar Aufgaben aus dem Dienstleistungssektor […]

  4. […] und konsequenter Wachstumskritiker bekannt geworden ist. Sein ebenfalls sehr gutes Buch →”Befreiung vom Überfluss” gehört mittlerweile auch zur Standardliteratur einer menschlichen und ökologisch-sozial […]

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