Arme Milliardäre!

Liebe Leserinnen und Leser!

Habt Ihr Euch auch das eine oder andere Mal über die Teebeutler aufgeregt? Habt Ihr auch voller Verwunderung über die Erfolge der Tea Party hie und da den Glauben an das Vernünftige im Menschen verloren? Oder Euch einfach nur gefragt, was aus dem „Yes, we can“ geworden ist? Anders gefragt: Wieso werden nach so kurzer Zeit schon wieder Unsummen an Boni für Investmentbanker ausgeschüttet, die mit zerstörerischen Finanzinstrumenten aufs Neue dem Gemeinwohl schaden, um sich auf der anderen Seite der Gleichung die eigenen Taschen vollzuschaufeln? Eine Menge Fragen tauchen auf, wenn man über den Atlantik auf Amerika blickt, die selbsternannte Leitnation, die längst im Niedergang ist (→“Ein Hologramm für den König„). Thomas Frank gibt Antworten.

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Thomas Frank beginnt seine Reise mit einer Rückschau auf die große Depression von 1929 – 1933. Nachdem die Wirtschaft damals noch gründlicher in Trümmern lag als heute, als die amerikanischen Farmer ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen und nicht nur streikten, sondern Straßen blockierten, Laster mit landwirtschaftlichen Produkten kurzerhand umschmissen und sogar Zwangsversteigerungen verhinderten, indem sie diese einfach stürmten; nachdem all das und noch viel mehr geschah, verfügten „1937 … die Demokraten im Repräsentatenhaus über eine satte Dreiviertelmehrheit. So dauerhaft war die Neuausrichtung in den Dreißigern, dass die Demokraten diese Mehrheit mit zwei kurzen Unterbrechungen bis zu Gingrichs Revolution im Jahr 1994 halten konnten.“ Und heute? Die einstige Nachbarschaftshilfe, das Zusammenrücken und der dauerhafte Schwenk zu den Demokraten ist heute Geschichte. Frank schildert, wie er auf der ersten Demonstration der Tea Party Anfang 2009 ein Protestschild las, dass die neue Situation in einem kurzen Hauptsatz verdichtet: „Deine Hypothek ist nicht mein Problem.“

Es gab noch mindestens eine wichtige Zwischenstation zwischen 1933 und 2007. Sie ist begründet in George W. Bushs atombombensicheren Glauben an die „heilige Dreifaltigkeit von Deregulierung, Privatisierung und Freihandel.“ Alle damaligen amerikanischen Wirtschaftsweisen, besonders Alan Greenspan, Robert Rubin (Summa cum Laude Absolvent der Wirtschaftswissenschaften) und Larry Summers (Professor für Wirtschaftswissenschaften und späterer Harvard Präsident), waren sich einig und prägten den Geist der 80er, 90er und 2000er: Die Politik hat sich aus der Wirtschaft herauszuhalten. Der Markt reguliert sich ganz von alleine, schließlich ist er die perfekte Verkörperung der Vernunft. Aber es waren nicht nur volkswirtschaftliche Perspektiven, sondern auch betriebswirtschaftliche: „Der neue Götze des Marktes war der Bonus.“ Er brachte die Heroes of the Universe zu übermenschlichen, heldenhaften Leistungen und bereicherte so die Anleger auf nie dagewesene Weise.
Frank belegt in diesem Zusammenhang, dass es alles andere als unpassend ist, von „Gier“ zu sprechen. Denn die zentrale Szenezeitschrift „Trader Monthly“ widmete sich nicht, wie der Laie denken könnte, Wirtschaftsanalysen oder Aktienentwicklungen und -tipps, sondern einzig und allein „dem vom Bonusrausch geprägten Lebensstil“. Folgerichtig lautete der Claim der Zeitschrift „See it, make it, spend it.“ Diese Gier und der damit einhergehende finanzielle Reichtum hatte eine wichtige Funktion: Trennung vom Fußvolk. Wer daran zweifelt, muss nur die Ausgabe lesen, in der ein Plattenspieler für bescheidene 300.000 Dollar als „riesiger Stinkefinger für jeden, der Ihre Wohnung betritt“ gefeiert wurde.

Als dann die finanzielle Milleniums-Kernschmelze den Weltwirtschaftsupertanker fast zum Untergang gebracht hätte, vollzogen einige der „Experten“ plötzlich eine erstaunliche Kehrtwende: Greenspan stellte vor einem Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses fest, dass seine wirtschaftliche Weltanschauung nicht zutreffend war; Wirtschaftsnobelpreisträger Gary Becker hatte nunmehr im nachhinein „vieles falsch verstanden“; Richard Posner, Jahrgangsbester der Harvard Law School, beschuldigte unumwunden die Deregulierungsbewegung, deren Teil er war, Grund der neuen Krise zu sein. Aber all diese Einsicht auch von prominenter Expertenseite aus führte keineswegs dazu, dass sich das Muster von 1933 wiederholte. Anstatt die offensichtlich gescheiterte neoliberale Wirtschaftspolitik abzustrafen und wieder regulierend in den Markt und vor allem den Finanzsektor einzugreifen, ging plötzlich die Angst vor einer linken Revolution um. Plötzlich pochte wieder der Sozialismus oder gar Kommunismus an der amerikanischen Tür, bedrohlich, eigentlich schon der Sensenmann höchstselbst. Eine reale Gefahr wurde durch eine fiktive Bedrohung ausgetauscht.

Thomas Frank im Interview bei 3Sat

Die nun folgende verschlungene Wegstrecke zur Analyse und Begründung, wie es zu dieser höchst erstaunlichen Wende kommen konnte, kann ich hier nur bedingt zusammenfassen. Wenn überhaupt, dann sind es vor allem zwei Mechanismen, die dies ermöglichten: Erstens politisches Mimikry, Imitation der erfolgreichen Strategien, Taktiken und Methoden der Linken durch die neu erstarkende Rechte. Auf teils äußerst dreiste Art und Weise, oft nur völlig haltlose Behauptungen, meisterlich getarnt durch ihre völlige Offensichtlichkeit, gelang es den Wortführern der heiligen Dreifaltigkeit, weitere Deregulationen, Privatisierung und verbesserten Freihandel zu fordern und Bürger dafür zu mobilisieren.
Zweitens war es äußerst medienwirksame Komplexitätsreduktion der global vernetzten Wirtschaft, die man nur noch als „runter dummen“ bezeichnen kann (meine Worte). Einer der Protagonisten dieses zweiten Tricks war der Fernsehmoderator und Unternehmer Glenn Beck, der bei Fox News, sprich Rupert Murdoch seine geschickten, volksverdummenden Auftritte bis heute hinlegt. Am besten illustriert Beck selbst die kindlich naive Sicht der neuen Rechten auf unsere Wirtschaft. Er hat nämlich vor geraumer Zeit den Kapitalismus in ein bestechendes Bild gebracht, dass er, geschäftstüchtig wie er ist, als Lithografie für 25 Dollar verkauft:

Gemälde von Glenn Beck
Am meisten fasziniert mich, was ich nicht sehe: Menschen. Vielmehr eine düstere Fabrik, so, als ob heute noch die größte Bruttowertschöpfung durch industrielle Produktion erfolgen würde. Zudem weckt das dunkle Gebäude bei mir Assoziationen an ein Krematorium. Das Faszinierende: Dieses Bild wäre perfekt geeignet, um den Kapitalismus in seiner Ausklammerung alles Menschlichen und Sozialen kritisch darzustellen, eher schon zynisch. Gemeint ist es aber als Hommage. Und wird auch so von Anhängern der Tea Party und anderen gerne gekauft.

Zu guter Letzt ist noch eines besonders bemerkenswert, was mir bislang völlig verborgen war: Der unglaubliche Einfluss der russisch-amerikanischen Bestsellerautorin Ayn Rand, eigentlich Alissa Sinowjewna Rosenbaum. Ihr 1957 erschienenes Hauptwerk, der Roman „Atlas wirft die Welt ab“ und ihre sonstigen Bücher und Schriften beeinflussen bis heute nicht nur das durch die Linken gedemütigte Fußvolk, sondern vor allem auch die höchsten Entscheiderkreise. Alan Greenspan höchstselbst verdankt seine erleuchtungsgleiche Einsicht, die er ja später deutlich revidierte, wie wir heute wissen, dem „Objektivismus“ Ayn Rands. Der Markt hat immer Recht. Er (wer eigentlich?) ist zu einhundert Prozent effizient und vernünftig. Aber nur, wenn niemand in dieses gottgleiche Wunderwerk eingreift, sprich: Menschen in Glenn Becks albernes Bildchen malen und es damit nachhaltig versauen würde. 
Rands Kernthese ist schlicht: Wenn die Wirtschaft kollabiert, liegt dies immer (!) daran, dass sich der Staat eingemischt hat. Abgesehen davon, dass sprachliche Verallgemeinerungen (Universalquantoren) wie „immer“ oft fragwürdig sind, ist es äußerst durchsichtig, warum Ayn Rand ihre Position vertritt: In „Atlas wirft die Welt ab“ streiken die Unternehmer, die Bosse, denn ohne sie würde gar nichts laufen. Aber sie sind es, die durch die Arbeiter und Gewerkschaften gedemütigt wurden und werden, obwohl auf ihren, auf Atlas Schultern, die Welt ruht. Das ist eine bestenfalls pubertäre Trotzreaktion auf ihre persönlichen Erfahrungen mit den Überregulationen und Enteignungen des real existierenden Sozialismus. Zweifellos hat sie darunter leiden müssen; hat aber nicht erkannt, dass das völlige Gegenteil genauso zerstörerisch ist. Wie glaubwürdig sie ist, lässt sich letztlich daran erkennen, dass sie, seit 1926 in den USA, an Lungenkrebs leidend staatliche Gesundheitsprogramme und ihre Sozialversicherung beanspruchte. 

Fazit: Wer die aktuelle wirtschaftliche und politische Lage in Amerika verstehen will, kommt an Franks armen Milliardären nicht vorbei. Und wer vom momentanen Amerika unabhängig ein tieferes Verständnis für eine menschenwürdige Wirtschaft und Politik erlangen will, ein Bild, in dem Menschen und keine seelenlose Fabrik im Zentrum steht, dem kann ich dieses Buch ebenfalls ans Herz legen.

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

Frank, T. (2012): Arme Milliardäre! Der große Bluff oder wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt. Kunstmann. Gebunden

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